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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Garagen durch einen einfachen Durchbruch in der Wand miteinander verbunden waren, als hätte der Maurer seine Arbeit mittendrin liegengelassen. Die Öffnung wurde von einem Wandschirm aus Pappe verdeckt, der wie die öffentlichen Toiletten mit unanstän digen Wörtern und Zeichnungen beschmiert war. An den Wänden der Garage, in die wir eintraten, hingen zwischen Feuchtigkeits- und Schmutzflecken Fotos, Plakate und Titelblätter von »Extra«. Man erkannte Gesichter von Fußballspielern, Sängern und, ganz offensichtlich, von Delinquenten und Opfern. Jedes Titelblatt trug reißerische Überschriften, und ich konnte Sätze lesen wie: »Mutter getötet, um Tochter zu heiraten« und »Polizei überrascht Maskenball. Alles Männer!« Dieser Raum schien als Redaktion, Fotowerkstatt und Archiv zu dienen. So viele Dinge hatten sich hier angesammelt, daß es schwierig war, sich einen Weg hindurch zu bahnen. Schreibmaschi nentische, an denen zwei Burschen eilig tippten; Stapel von Remittenden-Exemplaren der Zeitschrift, die ein kleiner Junge ordnete und in Pakete zusammenschnürte; in einer Ecke ein offener Kleiderschrank voller Negative, Fotos, Klischeeplatten, und hinter einem Tisch, dessen eines Bein durch Ziegelsteine ersetzt worden war, saß ein Mädchen mit rotem Pullover und trug Rechnungsbeträge in ein Kassenbuch ein. Alles in diesem Raum, Gegenstände wie Personen, wirkte äußerst beengt. Niemand hielt uns an oder fragte uns, was wir wollten, und niemand erwiderte unseren Gruß. Auf der anderen Seite des Wandschirms standen vor ebenfalls mit sensationslüsternen Titelblättern beklebten Wänden drei Schreibtische, auf denen ein mit Tinte beschriebenes Schildchen die Funktion des jeweili gen Besitzers spezifizierte: Herausgeber, Chefredakteur, Verwaltung. Als sie uns in den Raum treten sahen, hoben zwei über Andruckexemplare gebeugte Personen den Kopf. Einer von ihnen stand, es war Pascual. Wir umarmten uns kräftig. Er hatte sich sehr verändert; er war dick, hatte einen Bauch und ein Doppelkinn, und etwas in seinem Gesichtsausdruck ließ ihn beinahe alt erscheinen. Er hatte sich einen seltsamen, beinahe hitlerähnlichen Schnurrbart wachsen lassen, der schon grau wurde. Auf .alle nur mögliche Weise zeigte er mir seine Zuneigung, und als er lächelte, sah ich, daß er Zähne verloren hatte. Nach der Begrüßungszeremonie stellte er mir die andere Person vor, einen dunkelhaarigen Mann mit senffarbenem Hemd, der an seinem Schreibtisch sitzen blieb: »Der Herausgeber von ›Extra‹«, sagte Pascual. »Dr. Rebagliati.«
    »Beinahe wäre ich ins Fettnäpfchen getreten, der Große Pablito hat mir gesagt, du wärest der Herausgeber«, erzählte ich und gab Dr. Rebagliati die Hand.
    »Wir sind heruntergekommen, aber doch noch nicht so weit«, meinte er. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich.« »Ich bin der Chefredakteur«, erklärte Pascual. »Das ist mein Schreibtisch.«
    Der Große Pablito sagte, daß wir gekommen seien, um ihn abzuholen, um im Pavo Real zu Mittag zu essen und von alten Zeiten bei Panamericana zu sprechen. Er fand die Idee großartig, aber wir müßten ein paar Minuten auf ihn warten, weil er diese Seiten wieder in die Druckerei bringen müsse, es sei sehr dringend, sie hätten Redaktions schluß. Er ging und ließ uns verdutzt und allein mit Dr. Rebagliati zurück. Als dieser hörte, daß ich in Europa lebte, fraß er mich mit Fragen beinahe auf. Waren die Französinnen wirklich so leicht herumzukriegen, wie man sagte? Waren sie wirklich so erfahren und hemmungslos im Bett? Er erwartete von mir Statistiken, vergleichende Tabellen über die europäischen Frauen. Stimmte es, daß sie in jedem Land ihre ganz speziellen Angewohnheiten hatten? Er, zum Beispiel, (der Große Pablito hörte ihm zu und verdrehte beglückt die Augen) habe von Leuten, die viel gereist seien, hochinteressante Sachen gehört. Stimmte es, daß die Italienerinnen einen Hang zum Flötensolo hätten? Daß die Pariserinnen niemals befriedigt waren, wenn man sie nicht von hinten bombardierte? Daß die nordischen Frauen sich sogar an ihre Väter heranmachten? Ich antwortete, so gut ich konnte, auf den Wortschwall von Dr. Rebagliati, durch den eine lüsterne Spannung im Raum entstand, und ich bedauerte es immer mehr, daß ich mich zu diesem Mittagessen hatte verleiten lassen, das sicherlich Gott weiß wie lange dauern würde. Der Große Pablito lachte erstaunt und sehr erregt über die erotisch-soziologischen Enthüllungen des Herausgebers.
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