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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Schweigen, das vom Klappern der Schreibmaschine im Nebenzimmer unterstrichen wurde. Ich stammelte, ich verspräche ihm, das Studium zu beenden, und er nickte. Als wir uns verabschiedeten, umarmten wir uns nach einem Augenblick des Zögerns.
    Von seinem Büro ging ich gleich zur Hauptpost und schickte ein Telegramm: »Amnestiert. Schicke Ticket so schnell wie möglich. Küsse.« Den Nachmittag verbrachte ich bei dem Historiker, auf dem Dach von Radio Panamericana, auf dem Friedhof und zerbrach mir den Kopf über die Art, wie ich das Geld zusammenbringen sollte. In dieser Nacht stellte ich eine Liste der Personen auf, die ich um Geld angehen könnte, und um wieviel. Aber am nächsten Tag erhielt ich bei den Großeltern ein Antworttelegramm: »Ankomme morgen, Flug LAN. Küsse.« Später erfuhr ich, daß sie, um das Ticket zu bezahlen, ihre Ringe, Ohrringe, Broschen, Armbänder und fast alle ihre Kleider verkauft hatte. So war sie, als ich sie am Donnerstagabend am Flughafen von Lima-Tambo empfing, eine bettelarme Frau. Ich brachte sie sofort in unser Apartment, das von Cousine Nancy persönlich gewischt und gebohnert worden war. Eine rote Rose verschönte es mit einem »Herzlich willkommen.« Tante Julia sah sich alles an, als wäre es ein neues Spielzeug. Sie amüsierte sich über die wohlgeordnete Friedhofskartei, über meine Notizen zu den Artikeln für »Cultura Peruana«, die Liste der Schriftsteller, die für »El Comercio« interviewt werden sollten, und über meinen Arbeitsplan und die Aufstellung der Kosten, die ich vorbereitet hatte und auf der theoretisch bewiesen war, daß wir leben konnten. Ich sagte, daß ich ihr, nachdem wir uns geliebt hätten, eine Erzählung vorlesen würde, die »Die Selige und Pater Nicolas« heiße, und sie solle mir helfen, das Ende auszusuchen.
    »Donnerwetter, Varguitas«, lachte sie, während sie sich rasch auszog. »Du wirst ein richtiger Mann. Jetzt versprich mir, daß du dir, damit alles perfekt ist und dein Milchgesicht verschwindet, einen Schnurrbart stehen laß.«
     

 
    XX
     
    Die Ehe mit Tante Julia war ein richtiger Erfolg und dauerte sehr viel länger, als alle Verwandten und sogar sie selbst gefürchtet, gewünscht oder vorausgesehen hatten, nämlich acht Jahre. In dieser Zeit wurden dank meiner Hartnäckigkeit und ihrer Hilfe und Begeisterung, zusammen mit einer Portion Glück, andere Voraussagen (Träume, Wünsche) Wirklichkeit. Wir lebten tatsächlich in der berühmten Mansarde in Paris, und ich war, recht und schlecht, ein Schriftsteller geworden, und hatte einige Bücher veröffentlicht. Ich hatte mein Jurastudium nicht beendet, dafür jedoch, um die Familie auf irgendeine Weise zu entschädigen und mir meinen Lebensunterhalt etwas leichter verdienen zu können, einen Titel in einer ebenso langweiligen akademischen Perversion wie Jura erworben, in Romanischer Philologie.
    Als Tante Julia und ich uns scheiden ließen, flössen in meiner weitverzweigten Familie reichlich Tränen, denn alle (angefangen bei meiner Mutter und meinem Vater, versteht sich) liebten sie. Und als ich ein Jahr später wieder heiratete und dieses Mal meine Cousine (die Tochter von Tante Olga und Onkel Lucho, welch ein Zufall!), war der Familienskandal weniger geräuschvoll als das erste Mal (er bestand hauptsächlich aus einem gewaltigen Klatsch). Allerdings gab es eine perfekte Verschwörung, die mich zwingen sollte, mich kirchlich trauen zu lassen, in die selbst der Erzbischof von Lima verwickelt war (natürlich war er ein Verwandter von uns), der den Dispens, der die Trauung erlaubte, eilfertig unterschrieb. Daraufhin war die Familie davon geheilt, sich noch irgendwie schrecken zu lassen, und rechnete (was einer Entschuldigung im voraus entsprach) mit jeder Schandtat meinerseits.
    Ein Jahr hatte ich mit Tante Julia in Spanien gelebt und fünf Jahre in Frankreich, und auch mit Cousine Patricia lebte ich wieder in Europa, zuerst in London und später in Barcelona. In dieser Zeit hatte ich einen Vertrag mit einer Zeitschrift in Lima: ich schickte Artikel, und man bezahlte mir die Arbeit mit Flugtickets, die es mir erlaubten, jedes Jahr für ein paar Wochen nach Peru zu fahren. Diese Reisen, dank deren ich meine Familie und meine Freunde sah, waren sehr wichtig für mich. Aus verschiedenen Gründen wollte ich für immer in Europa leben, vor allem, weil ich dort immer als Journalist, Übersetzer, Radiosprecher oder Lehrer Arbeit fand, die mir freie Zeit ließ. Als ich zum ersten Mal nach
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