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Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
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bei einem Onkel väterlicherseits, den ich niemals besuchte, aber meine Mutter kam täglich in das Haus meiner Großeltern, und dort sahen wir uns. Sie hatte mir gegenüber eine ambivalente Haltung, sie war herzlich und mütterlich, aber jedesmal, wenn das Tabuthema indirekt oder direkt berührt wurde, erbleichte sie, Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie versicherte: »Ich werde es nie akzeptieren.« Als ich ihr vorschlug, das Apartment anzusehen, wurde sie böse, als hätte ich sie beleidigt, und die Tatsache, daß ich meine Kleidung und meine Bücher verkauft hatte, betrachtete sie als griechische Tragödie. Ich brachte sie zum Schweigen, indem ich sagte: »Mamachen, fang nicht wieder mit deinem Hörspieldrama an.« Sie erwähnte meinen Vater nie, und ich fragte auch nicht nach ihm, aber von anderen Verwandten, die ihn sahen, erfuhr ich, daß seine Wut einer Art Hoffnungs losigkeit, was meine Zukunft anging, gewichen war und daß er zu sagen pflegte: »Er muß mir gehorchen, bis er einundzwanzig Jahre alt ist; dann mag er verkommen.“
    Trotz meiner vielfältigen Tätigkeiten schrieb ich in diesen Wochen eine neue Erzählung. Sie hieß »Die Selige und Pater Nicolas«. Natürlich spielte sie in Grocio Prado und war antiklerikal: die Geschichte eines pfiffigen kleinen Priesters, der, als er die Verehrung des Volkes für die Melchorita entdeckt, beschließt, sie zu seinen Gunsten zu industrialisieren. Mit der Kaltschnäuzigkeit und dem Ehrgeiz eines tüchtigen Unternehmers baut er ein vielseitiges Geschäft auf, indem er Heiligenbildchen, Skapuliere und alle Arten Reliquien der kleinen Seligen herstellt und verkauft, Eintrittsgeld für die Besichtigung der Plätze kassiert, wo sie gelebt hat, und Sammlungen und Tombolas veranstaltet, um für sie eine Kapelle zu errichten und die Kommission zu finanzieren, die ihre Kanoni sierung in Rom erwirken soll. Ich schrieb dazu zwei verschiedene Epiloge mit Zeitungsmeldungen: in dem einen decken die Bewohner von Grocio Prado die Geschäfte von Pater Nicolas auf und lynchen ihn, und in dem anderen wird der kleine Priester Erzbischof von Lima. (Ich wollte mich für einen davon entscheiden, nachdem ich die Erzählung Tante Julia vorgelesen hätte.) Ich schrieb sie in der Bibliothek des Club Nacional, wo meine Arbeit, die Neuheiten zu katalogisieren, eher Symbolcharakter hatte. Die Hörspielserien, die ich aus dem Archiv von Radio Central rettete (eine Arbeit, die mir zoo Soi extra einbrachte), wurden für die Sendungen eines Monats komprimiert, für die Zeit nämlich, bis die Vorlagen vom CMQ ankamen. Aber weder diese noch jene konnten, wie der fortschrittliche Unternehmer vorausgesehen hatte, die gigantische von Pedro Camacho eroberte Hörerschaft halten. Die Einschaltquoten fielen zurück, und die Preise für die Werbung mußten herabgesetzt werden, damit man keine Anzeigen verlor. Der Fall war für die Genaros jedoch nicht allzu schlimm; immer einfallsreich, immer dynamisch, fanden sie in dem Quizprogramm »Antworten Sie für 64000 Soi« eine neue Goldgrube. Es wurde vom Kino Le Paris aus gesendet, und dort antworteten gelehrte Kandidaten verschiedener Gebiete (Autos, Sophokles, Fußball, Inkas) auf Fragen für Beträge, die bis zu dieser Summe gehen konnten. Über Genaro jun., mit dem ich (jetzt sehr selten) einen Kaffee im Bransa in der Almena trank, verfolgte ich den Weg von Pedro Camacho. Er war einen Monat lang in der Privatklinik von Dr. Delgado gewesen, da das aber sehr teuer war, gelang es den Genaros, ihn ins Larco Herrera, das Irrenhaus der Öffentlichen Wohlfahrt, zu überweisen, wo man ihn, allem Anschein nach, für gut untergebracht hielt. An einem Sonntag, nachdem ich Gräber auf dem Friedhof Presbitero Maestro katalogisiert hatte, fuhr ich mit dem Autobus bis zum Larco Herrera, um ihn zu besuchen. Als Geschenk hatte ich ein paar Beutelchen Kamille und Pfefferminze für ihn, damit er sich seinen Tee bereiten könnte. Aber in dem Augenblick, in dem ich mit den anderen Besuchern durch das Tor gehen wollte, beschloß ich, es zu lassen. Der Gedanke, den Schreiber an diesem von hohen Mauern umgebenen zweideutigen Ort wiederzusehen – im ersten Studiensemester hatten wir hier Praktika in Psychologie gemacht –, als einen aus diesem Heer von Verrückten, bedrückte mich sehr. Ich drehte um und kehrte nach Miraflores zurück. An diesem Montag sagte ich meiner Mutter, ich wolle meinen Vater sprechen. Sie riet mir, vernünftig zu sein und nichts zu sagen, was ihn
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