Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tante Julia und der Kunstschreiber

Tante Julia und der Kunstschreiber

Titel: Tante Julia und der Kunstschreiber
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
zu tun. Während Tante Julia in Valparaiso sei, müsse ich mir eine andere Arbeit suchen, denn wovon sollten wir sonst leben, wer sollte uns ernähren? Mein Vater werde sich schon beruhigen und die Tatsachen akzeptieren.
    Gegen Mitternacht – meine Tante und mein Onkel waren diskret schlafen gegangen, und Tante Julia und ich liebten uns unter scheußlichen Umständen: halb ange zogen, voller Kummer und auf jedes Geräusch horchend – willigte ich schließlich ein. Es gab keine andere Lösung. Am nächsten Morgen würden wir versuchen, das Ticket nach La Paz gegen eins nach Chile zu tauschen. Eine halbe Stunde später, als ich durch die Straßen von Miraflores zu meiner Junggesellenbude im Haus meiner Großeltern ging, spürte ich Bitterkeit und Ohnmacht und fluchte, weil ich nicht einmal genug Geld hatte, um mir auch einen Revolver kaufen zu können.
    Zwei Tage später reiste Tante Julia nach Chile, mit einem Flugzeug, das im Morgengrauen abflog. Die Luftfahrtgesellschaft machte keine Schwierigkeiten, das Ticket umzutauschen, aber es gab einen Preisunterschied von 1500 Soi, den wir mit einer Anleihe bei keinem Geringeren als Pascual deckten. (Er überraschte mich, als er mir erzählte, daß er 5000 Soi auf dem Sparbuch habe, was bei seinem Verdienst ein wahres Wunder war.) Damit Tante Julia etwas Geld mitnehmen konnte, verkaufte ich bei dem Buchhändler in der Calle La Paz alle meine Bücher, die ich noch hatte, sogar das Gesetzbuch und die juristischen Handbücher, und kaufte davon 50 Dollar. Tante Olga und Onkel Lucho kamen mit uns zum Flughafen. Die Nacht davor blieben Tante Julia und ich in ihrem Haus. Wir schliefen nicht, liebten uns auch nicht. Nach dem Abendessen zogen mein Onkel und meine Tante sich zurück, und ich setzte mich auf die Bettkante und sah Tante Julia zu, wie sie sorgfältig ihren Koffer packte. Dann setzten wir uns in den Salon, ohne Licht zu machen. Dort saßen wir drei oder vier Stunden ganz dicht beieinander in einem Sessel, die Hände ineinander verschränkt, und sprachen leise, um unsere Verwandten nicht zu wecken. Hin und wieder umarmten wir uns, drückten die Gesichter aneinander und küßten uns, aber die meiste Zeit rauchten wir oder sprachen davon, was wir machen würden, wenn wir wieder zusammen wären, wie sie mir bei meiner Arbeit helfen würde, wie wir auf die eine oder andere Weise doch früher oder später nach Paris kommen und in einer Mansarde wohnen würden, wo ich endlich Schriftsteller sein könnte. Ich erzählte ihr von ihrem Landsmann Pedro Camacho, daß er jetzt in einer Klinik zwischen Verrückten lebe und zweifellos selbst verrückt würde, und wir gelobten, uns jeden Tag zu schreiben, lange Briefe, in denen wir uns ausführlich alles erzählen würden, was wir taten, dachten und fühlten. Ich versprach, alles geregelt zu haben, bis sie zurückkam, und genug zu verdienen, damit wir nicht verhungerten. Als der Wecker um 5 Uhr klingelte, war es noch dunkel, und als wir eine Stunde später zum Flughafen Lima-Tambo kamen, wurde es gerade erst hell. Tante Julia trug das blaue Kostüm, das ich so sehr gern hatte, und sah sehr hübsch aus. Sie war gefaßt, als wir uns verabschiedeten, aber ich spürte, wie sie in meinen Armen zitterte; ich dagegen hatte, als ich sie von der Terrasse aus im ersten Morgengrauen in das Flugzeug steigen sah, einen Knoten im Hals, und Tränen traten mir in die Augen. Ihr chilenisches Exil dauerte einen Monat und vierzehn Tage.
    Das waren für mich sechs entscheidende Wochen, in denen ich (dank meiner Bemühungen bei Freunden, Bekannten, Kommilitonen, Professoren, die ich aufsuchte, bat, belästigte, denen ich auf die Nerven fiel, damit sie mir halfen) sieben verschiedene Arbeiten fand, eingeschlossen die von Radio Panamericana, versteht sich. Die erste war eine Beschäftigung in der Bibliothek des Club Nacional gleich neben dem Sender; ich mußte täglich zwischen den Morgennachrichten hingehen und die neuen Bücher und Zeitschriften registrieren und einen Katalog der alten Bestände aufstellen. Ein Geschichtsprofessor von San Marcos, in dessen Seminar ich überdurchschnittliche Noten hatte, verpflichtete mich als Assistent nachmittags zwischen 3 und 5 Uhr in seinem Haus in Miraflores, wo ich verschiedene Themen der Chronisten katalogisieren mußte für das Projekt einer Geschichte Perus, bei dem er für die Bände »Eroberung« und »Unabhängigkeit« zuständig war. Eine pittoreske Arbeit hatte ich bei der öffentlichen Wohlfahrt von Lima. Auf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher