Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tal ohne Sonne

Tal ohne Sonne

Titel: Tal ohne Sonne
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
gleichend, das auf den Augenblick des Zubeißens wartet.
    Leonora stieß einen hellen Schrei aus, als sie ihren Vater sah, und wollte zu ihm laufen, aber Zynaker hielt sie noch rechtzeitig fest. »Nicht jetzt!« keuchte er, als sie sich wehrte und mit den Fäusten nach ihm schlug. »Liebling, sei vernünftig! Bitte, du würdest alles verderben. Laß ihn, er ist doch ein Geist …« James Patrik blieb mitten auf dem Dorfplatz stehen, hob das Gewehr mit dem Zielfernrohr an die Schulter und nahm den flachen, gebleichten Knochen ins Visier, den Hano Sepikula als Kopfputz zusammen mit dem Schweif eines Paradiesvogels trug. Nur etwa drei Zentimeter über der Stirn war dieser Knochen mit Blumen und einem schwarzen Fell verbunden, schon ein leises Schwanken des Laufs mußte die Stirn Hano Sepikulas treffen. Zynaker ahnte, was Patrik wollte, und hielt den Atem an. Etwas abseits stand Schmitz und hatte Lakta an sich gedrückt.
    Patrik zielte nicht lange. Sein Finger krümmte sich, und als der Schuß ertönte, zuckten alle auf dem Boden liegenden Krieger zusammen.
    Hano Sepikula spürte einen trockenen Schlag gegen seinen Kopfputz. Gleichzeitig flog das kunstvolle Gebilde von seinem Kopf, segelte ein paar Meter durch die Luft und fiel dann zur Erde. Noch einmal bäumte sich Hano Sepikula auf, als wolle er gegen die Erkenntnis anrennen, daß er zum zweitenmal verloren hatte, dann fiel er wie ein gefällter Baum um und lag mit dem Gesicht im Staub.
    »Das war's«, sagte Zynaker trocken. »Wir haben unser Leben wieder. Wir können weitermachen. Pater, ich möchte vorschlagen, daß Sie alles für eine Doppelhochzeit vorbereiten.«
    »Wer?« fragte Pater Lucius völlig unnötig.
    »Leonora und ich, Pepau und Lakta.«
    »Lakta ist noch nicht getauft.«
    »Ist das so wichtig? Ich bin aus der Kirche ausgetreten, Schmitz ist evangelisch und Leonora anglikanisch.«
    »Aber warum wollt ihr dann kirchlich getraut werden?«
    »Weil alles seine Richtigkeit haben muß, Pater. Wer hat denn einmal gesagt: ›Gott ist Gott, ganz gleich, wie er heißt und welche Farbe er hat‹?«
    »Ich.«
    »Na also. Bringen wir die Götter unter einen Hut!«
    »Weiß Leonora das schon?«
    »Nein. Ich werde es ihr nachher sagen.«
    »Und wenn sie nicht will?«
    »Da weiß ich ein gutes Mittel.« Zynaker lachte laut. »Du hypnotisierst sie!«
    Das Leben bei den Uma normalisierte sich. Dai Puino übernahm wieder die Macht und saß in seinem Flugzeugsessel, Hano Sepikula unterwarf sich seinem Bruder bis zu dessen Tod, indem er vor ihm seinen Speer zerbrach und von diesem Augenblick an ehrlos war. Aber das dauerte nur einen Tag. Hano Sepikula wurde nicht als Verräter getötet, sondern Dai Puino überreichte ihm einen neuen Speer, geschmückt mit Paradiesvogelfedern und dem Balg einer weißen Maus. Hano Sepikula dankte, indem er auf die Knie fiel und seinem Bruder die Füße küßte.
    James Patrik wohnte eine Woche lang in der Kirche und schlief auf einem Feldbett. Aber er schien nicht zu begreifen, daß er in einer Kirche schlief. Auch als Pater Lucius die beiden Paare traute, vom Kassettenrekorder Musik von Beethoven erklang und nach dem Ringwechsel ein Chor das große Halleluja von Händel sang, stand er, auf den Lauf seines Gewehrs gestützt, an der Rückwand und starrte mit einem abwesenden Blick wie immer in eine nur ihm erkennbare Ferne. Aber dann, nach dem Ende der Trauung, stieß er sich von der Wand ab, klemmte das Gewehr unter den Arm und ging auf Leonora zu. »Meinen Glückwunsch, Lady«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung. »Es wird eine schöne Tochter werden.« Alle begriffen, daß er die Trauung mit einer Taufe verwechselte, aber keiner berichtigte ihn. »Auch ich hatte eine Tochter, eine schöne Tochter, wirklich. Auf rätselhafte Weise ist sie verschwunden.«
    »Vater …« Leonora begann zu weinen, sah in das gegerbte Gesicht, in die blauen Augen und sah auch, daß er, während er mit ihr sprach, den Blick noch immer in die Ferne gerichtet hielt. Zynaker zog sie an sich und legte tröstend den Arm um sie. »Vater …«
    James Patrik schüttelte den Kopf, verließ die Kirche und ging auf den Wald zu.
    Leonora umklammerte Zynakers Hand. »So kann er doch nicht gehen«, stammelte sie. »Er kann doch nicht allein zurück in sein ›Tal ohne Sonne‹. Warum bleibt er nicht hier? Hol ihn zurück, Donald!«
    »Man kann ihn nicht halten. Niemand kann das. Was soll er hier im Dorf? Es wäre sein Tod. Er gehört in sein Tal, in seine Höhle, zu seinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher