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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Büchner, ob Bertolt Brecht, aber bis hin zum anderen Großen, dem dritten großen B, Gottfried Benn, hat er diesen Zirkelschlag der Einsamkeit auch gebraucht zur Selbstdefinition seines Ich, und damit übrigens, das kann eben nur Kunst leisten, und das hat seine Kunst geleistet, daß wir uns damit auch definieren. Das ist die Leistung der Kunst, uns Augen neu einzusetzen. Dafür danke ich Thomas Brasch. Ich habe ihn geliebt, den Künstler, den Menschen.
    Adieu, Thomas Brasch.
    (Fritz J. Raddatz, Auszug aus der Grabrede auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof)
    25. November
    Werde ich nicht nur zum alten Nörgler (das/der bin ich bereits), sondern auch zum Literatur-Mäkler? Immer mehr und immer öfter bin ich ergrimmt/enttäuscht/überrascht, wie sorglos vieles von dem geschrieben ist, was man für «klassisch» hält, was «Kanon» ist – und doch zugleich offenbar flüchtig (oder gar gar nicht??) gelesen wurde.
    Nun also Döblin. Auch die 2. Lektüre von «November 1918» – der mehrbändige Roman gilt ja als eins seiner Hauptwerke – läßt mich geradezu baff vor den sprachlichen Sorglosigkeiten, um nicht zu sagen geradezu schmerzenden Schlampereien der endlosen «sowohl-wie»-Konstruktionen, der Banalitäten à la «und schon kam ihn ein Gelüste an», des Illustrierten-Stils à la «den Menschen unten stockte der Atem», der Unangebrachtheitenà la «ich muß entweichen, dachte Heidberg» (der FLIEHEN will), der laschen Beschreibungen à la «in seinem wohligen Arbeitszimmer» oder «die ganzen Wände voller Bücher» (was ist ein wohliges Arbeitszimmer, und könnten es auch die halben Wände voller Bücher sein?), der falschen Zeichnungen à la «es zuckte um seine Augen und die Mundwinkel», der veritablen Abstrusitäten à la «der Wagen fuhr schlank weiter», der schlackernden Anschlüsse à la (in 10 Zeilen Abstand) «schnaubte der Chefarzt» – «schnob der Soldat», der flachen Beschreibungskunst à la «ihre hellblonden schlichten Haare» (was um alles in der Welt mögen «schlichte Haare» sein, wenn’s schon nicht Haar sein darf?).
    Genau genommen: ein Graus. Aber der Graus trägt das Etikett «Meisterwerk», und dieses Etikett haftet wie mit Uhu angeklebt.
    Nicht viel besser der HAMLET-Roman, den auch ich stets als das letzte große Buch eines großen Autors zu rühmen pflegte. Dieweil es doch von pappener Dramaturgie ist, das immer und immer wieder – zigmal ZU oft – beschriebene Fett des Krimi-Autors, die alberne Dramaturgie, der zufolge sich Leute am Kamin ENDLOSE Geschichten erzählen, zumeist nicht besser als Karl May, und – am schlimmsten – die VERORDNETE Unheimlichkeit; dauernd und immer wieder wird GESAGT, daß das Haus etwas Unheimliches habe – – – es HAT aber nix Unheimliches, Döblin kann die Unheimlichkeit, die Doppelbödigkeit (von Ehe und Ehebruch usw.) nicht HERSTELLEN, er kann sie nur betonen mit kleinen Flaggen à la «Achtung, Spannung!»
    Niemand, der so und derlei heute schriebe, käme damit durch. Und es ist nicht Zeitgebundenheit, sondern pure Sorglosigkeit, wenn nicht schriftstellerisches Unvermögen.
    Hübsch wäre eine Kolumne «Überprüft» oder dergleichen, meinetwegen gar: «Mit dem Rasiermesser gelesen»: in/mit der man mal Revue passieren ließe, was alles so in den Zettelkasten «Meisterwerk» plumpst – von Tolstois KREUTZERSONATE bis zu dem unsäglich überschätzten Márai –; das Fazit wäre halt doch recht oft: «gewogen und zu leicht befunden.» Dixi.
    26. November
    Vielleicht sind’s auch nur ein bißchen viel «Schlußstriche» in der letzten Zeit: ZEITende; Marbach-Transport; Grabstein-Kauf; 2 Bücher fertig und die Memoiren als Spiralnebel im Hinterkopf (Memoiren sind ja immer der Schlußstrich); der Museums-Film. UND nun das Standesamt: was ich ja nur des eventuellen Erbes wegen, d. h. des Einsparens der Erbschaftssteuer für Gerd (if so) , getätigt habe. Meine Liebe für ihn ist ganz anderswo verwurzelt, braucht keine amtlichen Stempel, ist eingebettet in grenzenloses Vertrauen und in Dankbarkeit für inzwischen so viele gemeinsame Jahre, gemeinsames Erleben: ob in Kampen, Nizza oder auf Mississippi-Kolumbien-New-York-Reisen.
    2. Dezember
    Interessante Beobachtung zum Sprichwort DER KNARRIGE AST BRICHT – DER BAMBUS BIEGT SICH:
    Hochhuth mit seiner mir unsympathischen Wieselei; hat also TATSÄCHLICH nächtens den armen Augstein angerufen, dem Eitlen geschmeichelt mit der Idee, ihm das inkriminierte Gedicht zu widmen, und damit
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