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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Millionen Leser», und mein wiederholtes «Glaubst du, daß das für Mallarmé, Rilke, Benn ein Argument gewesen wäre?» brachte ihn auch nicht aus der Fassung. Sich den Mächtigen zu verweigern hält er nur für dumm, weswegen er keine Sekunde zögert, einen Kritiker, der ihn gestern unflätigst verrissen hat, morgen anzurufen und ihm einen Text anzudienen. – Wenn ich ihm dann, quasi als Gegenargument, erzähle, daß ich den Herrn Augstein nicht in mein Haus lasse, daß ich mit KEINEM dieser SPIEGEL-Bubis verkehre, daß ich keine unterwürfigen Briefe an die ZEIT schreibe, daß ich den Herren der Springer-Oberetage mit meiner Springer-Anekdote neulich eine Ohrfeige gegeben habe … und daß ich seltsamerweise AUCH und dennoch noch lebe, sagt der Kämpfer Hochhuth zwar etwas kleinlaut: «Du hast recht» – es klingt aber wie ein: «Laß mich in Ruhe, ich mache es, wie ICH will.» Womit der nun hinwiederum recht hat.

    Brasch-PS
    Auch in seinen Texten, künstlerisch unerbittlich, dennoch «bittlich», nistet das Neu-Testamentliche:

Wir warten aber auf einen neuen Himmel
und eine neue Erde
nach seiner Verheißung,
in denen Gerechtigkeit wohnt
(Offenbarung des Johannes)

    Wahrlich kein sehr neuer Gedanke, aber immer wieder «denkt» man ihn denn, verblüffend/verstörend, wieviel Biblisches im Impetus der Schriftsteller genannten Prediger nistet.

Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.
Dann wird unser Mund voll Lachens
und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Dann wird man sagen unter den Heiden:
Der HERR hat Großes an ihnen getan!
(Psalm 126, 1 – 2)

    So SEHR weit weg von Marx ist das NICHT, setzt man für «Herr» jemand anderen ein: Dann haben wir hier die Vision vom befreiten Menschen (für welches Wort man wiederum nur «Proletariat» einsetzen muß), und dann haben/hören wir sie alle: Nietzsche, Bloch und den armen Bertolt Brecht.

    Thomas Brasch war Haut. In der Haut, so sagt man, nistet die Seele des Menschen. Er hat seine Haut über diese Welt gespannt, und die Welt zerbarst. Und seine Haut zerriß. Was war das Besondere an diesem Mann? Er wirkte ja ungebärdig, und dabei war es eine zärtliche Ungebärdigkeit. Er wußte als hochentwickelter Künstler, daß Kunst das Gehärtete sein muß. Unter dem Gehärteten, unter dem Unerbittlichen des Kunstgesetzes lag aber seine Bittlichkeit. Immer, wenn Sie genau lesen, ob in Stücken, in Prosa, vielleicht ganz besonders in der Lyrik, werden Sie finden eine Gebärde des Flehentlichen. Sabre nennt man in Israel die dort Geborenen. Sabre ist die Kakteenfrucht: außen stachlig und innen süß und saftig. Thomas Brasch, nicht dort geboren, war gleichwohl ein Sabre. Er hat uns eine Welt vorgeführt, vor der er die Menschen warnt. Gleichwohl hat er gesagt, sie möge nicht so sein. Das war der Impetus des Werks von Thomas Brasch. Deswegen konnte er Freund sein, deswegen konnte er die Menschen streicheln, übrigens nicht nur mit dem Wort, sondern veritabel streicheln. Eine Umarmung mit Thomas Brasch war immer gleichzeitig die Umarmung mit einem großen Stück Traurigkeit. Diese seltsame Wechselwirkung zwischen Traurigkeit, Trotz und Zärtlichkeit war, was für mich den Menschen Thomas Brasch ausmachte und was sein Werk prägte. Deswegen glaube ich, daß es lange wirken wird. Zärtlichkeit war gleichzeitig das Ungebärdige, das Nicht-akzeptieren-Wollen eines jeglichen Kodex. Ich habe mir einen Satz aufgeschrieben, mit dem er seine wunderschöne Majakowski-Auswahl im Suhrkamp Verlag vorstellte, wo er sagt, woran liegt es denn, daß wir diese Welt, diese Gesellschaft, gleich welche Gesellschaft, auch die, die Majakowski bauen wollte, nicht ertragen? Das liegt daran, daß wir, gelähmt von den vergangenen stillen Zeiten und dem kommenden endlosen Alptraum, die Arme nicht mehr hochbekommen, das einzig Nötige zu tun, jede staatliche Ordnung mit all ihren Wurzeln aus unserem Leben, unserem Beruf und aus unserem Herzen zu reißen. Dieses ist zugleich die Definition eines Einsamen. Das ist die andere Seite des Thomas Brasch. Er hatte gewiß nicht allzu viele, aber ein paar sehr gute Freunde. Vielleicht ist es unangebracht, wenn ich einen Freund nenne, und das ist Kathi Thalbach. Gleichwohl war er und wollte es auch sein, einsam bis ganz zum Schluß. Er verlor sich in dieser Welt. Vielleicht darf man erinnern an den Kleistschen Satz: «Die Wahrheit ist, daß mir auf Erden nicht zu helfen war.» Mit dieser Familie der Literatur, ob
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