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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Anbieten eines «amuse-gueule»: So tuend, als wisse ich nicht von den Querelen, eröffnete ich meine Laudatio damit, daß ich es «ja auch eine gewisse Pikanterie» nannte, daß ausgerechnet ich, der Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, Gegner des Springer-Verlags gewesen sei, nun hier, ausgerechnet, stünde. Dazu könne ich den Versammelten diese Geschichte erzählen: Auf dem Höhepunkt meiner Anti-Springer-Aktionen wie -Publizistik lud mich Axel Cäsar Springer in sein Haus nach Kampen ein – «wo ich von dem seinen unweit, einem Knecht Matti gemäß, eine Hütte besitze». Ich sprach eine volle Stunde – «damals war ich jung, noch der Emphase fähig» – auf ihn ein; als ich endete, applaudierte er und sagte: «Sie haben den Marquis Posa gut gegeben. Was kann ich tun, um Sie an mein Haus zu binden – Leute wie Sie brauche ich dringend und unbedingt in meiner unmittelbaren Umgebung.» – «Sie sehen, meine Damen und Herren», schloß ich, «der Mann ist nicht nur intelligent, sondern auch voller Weitsicht. Hier stehe ich also …»
    Applaus bei offener Bühne nennt man wohl, was da kam (alles eben VOR meiner eigentlichen Rede), Weidenfeld erzählte mir hinterher – er saß zwischen und vor und hinter all den hohen Chefs –, es sei eine Art Vorhang vor den Gesichtern weggezogen worden. Wobei ich nur die Marquis-Posa-Sache erfunden habe, alles andere, und das Gespräch ging ja lange weiter, ist die reine Wahrheit. Kurzum: Nachdem meine übrige freie Rede auf Pat Barker wohl auch ganz ordentlich war (jedenfalls kamen zig Leute und sagten, es sei nicht nur «klasse» usw. gewesen, wie man das eben heute so sagt; noch mehr kamen, um zu sagen, sie könnten es nicht glauben und nicht fassen, daß ich derlei «frei» und ganz ohne Manuskript spräche): Danach also kamen all jene Chefs und beglückwünschten mich, bedankten sich gar, daß ich ihrer Einladung gefolgt sei: «Darf ich Ihnen ein Glas Wein bringen?», und der Chefredakteur der WELT: «Ich rufe Sie noch Montag an, ich möchte mit Ihnen sprechen.»
    Ich weiß, WAS er mit mir sprechen will. Aber will ICH? Würde ich, auch aus «Rache» wegen des schnöde-unbeachtlichen ZEITabschieds, nun «zu Springer» gehen??? Puhh –.
    17. November
    Groteske Miszelle: Eine Bedienerin bei meinem Schneider erzählt mir, sie habe in Dublin eine Bacon-Ausstellung gesehen, offenbar eine Art «Inscenierung», wie derlei heute genannt wird, die das Atelier nachbaut. Im Mittelpunkt auf einem Tisch lag was? Mein Marx-Buch (englische Ausgabe) mit meiner Widmung für Bacon; das hatte ich ihm seinerzeit bei unserem Gespräch/für unser Gespräch mitgebracht. Immerhin hat er’s nicht weggeworfen …
    18. November
    Fortsetzungsroman «Verkommenheit des Kulturbetriebs».
    1 besonders unappetitliches Beispiel: Ulla Hahn, eine anständige Person, vielleicht keine SEHR bedeutende Autorin, veröffentlicht einen Roman (nicht gelesen). Sie wird angerufen vom Chef des LITERARISCHEN QUARTETTs, er gratuliert mit den Worten: «Dafür müssen Sie den Büchner-Preis bekommen», lädt sie und ihren Mann Klaus von Dohnanyi zu sich zum Abendessen. 1 Woche später: ein rasender Verriß in eben diesem Literarischen Quartett.
    Sein Satrap, der Herr Karasek, hatte ihr, ebenfalls vor der Sendung, beim Spazierengehen mit den Worten gratuliert: «Ein Lesevergnügen.» 2 Tage später in irgendeiner Klatschzeitung ein lobender Hinweis auf den Roman. Dann in der Quartett-Sendung: rasender Verriß. (Das in der Klatschzeitung sei doch nur ein «Hinweis» gewesen, da habe er das Buch ja noch gar nicht gelesen; man weist also lobend auf Bücher hin, die man nicht kennt.)
    Dazu – Autoren haben ja meist ein gutes Gedächtnis – die Hahn heute morgen zu mir: «Wissen Sie noch, als ich damals diesen Band über Hermlin machte, ich war noch bei Radio Bremen, und wir hatten über das Buch gesprochen; und da riefen Sie mich an und sagten: ‹Ich finde doch alles mögliche recht mißglückt in dem Buch – wundern Sie sich nicht, wenn Sie das am Donnerstag in der ZEIT lesen.›»
    24. November
    «So oder so ist das Leben», singt die begnadete Sopranistin Hildegard Knef: Gestern morgen früh mit ICE «Therese Giehse» zur Beerdigung von Thomas Brasch; schon dies in sich eine Pointe , da die Giehse eine der besten Brecht-Schauspielerinnen war, er den armen Bertolt Brecht vergötterte, wenn nicht gelegentlich («die Weigel» – «die Thalbach») nachahmte – – – die Giehse andererseits als lesbische Freundin der
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