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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer
Autoren: Frank McCourt
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den Abfallkorb. Die Klasse applaudierte. Wow, sagten sie und Große Klasse und Maaaann, seht euch das an. Er mampft das Sandwich. Er trifft in den Korb. Wow.
    Das also ist Unterrichten? Ja, wow. Ich kam mir vor wie ein Held. Ich hatte das Sandwich gegessen. Ich hatte in den Korb getroffen. Ich hatte das Gefühl, mit dieser Klasse alles machen zu
können. Von jetzt an würden sie mir aus der Hand fressen. Schön und gut, nur wußte ich nicht, wie ich weitermachen sollte. Ich war hier, um zu unterrichten, und ich fragte mich, wie ich den Übergang vom Sandwich zu Rechtschreibung, Grammatik, dem Aufbau eines Absatzes oder irgend etwas anderem schaffen sollte, was zu meinem Unterrichtsfach Englisch gehörte.
    Meine Schüler lächelten, bis das Gesicht des Direktors im Türfenster auftauchte, die buschigen Augenbrauen fragend bis halb in die Stirn hochgezogen. Er machte die Tür auf und gab mir einen Wink. Auf ein Wort, Mr. McCourt.
    Petey flüsterte mir zu, he, Mister. Keine Sorge wegen dem Sandwich, hab’s eh nicht gewollt.
    Die Schüler sagten ja, ja, um mir zu zeigen, daß sie auf meiner Seite standen, falls ich Ärger mit dem Direktor bekam – meine erste Begegnung mit der Solidarität zwischen Lehrer und Schülern. Im Unterricht mochten die Schüler aufsässig herummaulen, aber kaum tauchte der Direktor oder irgendein anderer Außenstehender auf, herrschte schlagartig Einigkeit, eine geschlossene Front.
    Draußen auf dem Flur sagte er, Mr. McCourt, Sie verstehen sicher, daß es sich für einen Lehrer nicht ziemt, um neun Uhr morgens im Klassenzimmer sein Mittagessen zu verspeisen, vor den Schülern und Schülerinnen. Ihre erste Unterrichtsstunde, und Sie halten es für richtig, sie damit zu beginnen, daß Sie ein Sandwich essen? Ist das korrektes Verhalten, junger Mann? Wir dulden das hier jedenfalls nicht, da kommen die Kinder nur auf dumme Gedanken. Das können Sie doch nachvollziehen, oder? Denken Sie nur daran, welche Probleme wir bekommen, wenn die Lehrer einfach alles stehen- und liegenlassen und ihr Mittagessen im Klassenzimmer verspeisen, noch dazu früh am Morgen, gleich nach dem Frühstück. Wir haben schon genug Ärger damit, daß manche Kinder in den ersten Stunden heimlich irgend etwas knabbern und damit Kakerlaken und diverse Nagetiere anlocken. Wir mußten schon Eichhörnchen aus diesen
Räumen verscheuchen, von Ratten ganz zu schweigen. Wenn wir nicht auf der Hut sind, werden die Schüler und manche Lehrer, Ihre Kollegen, junger Mann, die Schule in eine einzige große Kantine verwandeln.
    Ich hätte ihm gern die Wahrheit über das Sandwich gesagt und wie souverän ich die Situation gemeistert hatte, aber das wäre möglicherweise das Ende meiner Lehrerlaufbahn gewesen. Sir, hätte ich gern gesagt, das war nicht mein Mittagessen. Das war das Pausenbrot eines Jungen, der es nach einem anderen Jungen geworfen hat, und ich habe es aufgehoben, weil ich neu hier bin und diese Sache in meiner Klasse passiert ist, und in unseren Vorlesungen am College haben wir nichts über das Werfen und die Bergung von Pausenbroten gehört. Es stimmt, ich habe das Sandwich aufgegessen, aber ich habe es aus Verzweiflung getan oder um den Schülern eine Lektion über Verschwendung zu erteilen und ihnen zu zeigen, wer hier das Heft in der Hand hat, oder, mein Gott, ja, vielleicht auch deshalb, weil ich Hunger hatte, und ich verspreche, es nie wieder zu tun, schließlich möchte ich meine gute Stelle nicht verlieren, obwohl Sie zugeben müssen, daß es absolut still in der Klasse war. Wenn das der richtige Weg ist, die Aufmerksamkeit der Schüler in einer Berufsschule zu gewinnen, sollten Sie vielleicht einen ganzen Berg Mortadella-Sandwiches besorgen lassen, für die vier Klassen, vor die ich heute noch hintreten muß.
    Ich sagte nichts.
    Der Rektor sagte, er sei hier, um mir zu helfen, denn ich, ha ha, sähe so aus, als könnte ich Hilfe gebrauchen. Ich gebe zu, sagte er, daß Sie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Klasse hatten. Okay, aber probieren Sie mal, ob Sie das nicht auch auf weniger dramatische Weise schaffen. Versuchen Sie’s mit Unterrichten. Dafür sind Sie nämlich hier, junger Mann. Unterrichten. Jetzt müssen Sie die verlorene Zeit aufholen. Das ist alles. Keine Nahrungsaufnahme im Klassenzimmer. Gilt für Lehrer wie für Schüler.

    Ich sagte, ja, Sir, und er schickte mich mit einem Wedeln der Hand in die Klasse zurück.
    Was hat er gesagt? wollten die Schüler wissen.
    Er hat gesagt, ich soll nicht um
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