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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer
Autoren: Frank McCourt
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Missetaten zuschulden kommen lassen. Man hat mir gesagt, ich solle die Missetaten mit Rotstift eintragen, aber die Schule hat mir keinen zur Verfügung gestellt, also muß ich ihn jetzt mit einem Formular anfordern oder mir einen kaufen, denn der Rotstift für die Missetaten ist die mächtigste Waffe des Lehrers. Ich werde mir auch sonst noch allerlei kaufen müssen. In Eisenhowers Amerika herrscht Wohlstand, aber bis zu den Schulen sickert nichts davon durch, schon gar nicht bis zu neuen Lehrern, die Material für ihren Unterricht brauchen. Ein Aushang des für die Verwaltung zuständigen Konrektors erinnert alle Lehrer an die Finanznöte der Stadt und ermahnt sie zu sparsamem Materialverbrauch. An diesem Morgen muß ich Entscheidungen treffen. In einer Minute kommt das erste Klingeln. Sie werden hereinströmen, und was werden sie sagen, wenn sie mich am Pult sitzen sehen? He, seht mal. Der versteckt sich. Mit Lehrern kennen sie sich aus. Am Pult zu sitzen bedeutet, daß man Schiß hat oder faul ist. Man benutzt das Pult als Schranke. Am besten, man geht raus und stellt sich vor sie hin. Sieh dem Feind ins Auge. Sei ein Mann. Ein einziger Fehler am ersten Tag, und man braucht Monate, um sich davon zu erholen.
    Es sind Halbwüchsige, die hereinkommen, Sechzehnjährige, mit elf Schuljahren auf dem Buckel, von der Vorschule bis heute. Lehrer kommen, Lehrer gehen, alle Sorten, alte, junge, strenge, nette. Die Jugendlichen beobachten, taxieren, urteilen. Sie kennen sich aus mit Körpersprache, Tonfall, dem Auftreten allgemein. Nicht daß sie auf der Toilette oder in der Kantine herumsitzen und über diese Dinge reden. Sie bekommen sie im Lauf von elf Jahren ganz von selbst mit und geben sie an die nachfolgenden Generationen weiter. Vorsicht bei Miss Boyd! Hausaufgaben, Mann, Hausaufgaben, und die korrigiert sie sogar. Die korrigiert sie! Sie ist nicht verheiratet, also hat sie sonst nichts zu tun. Am besten sind verheiratete Lehrer mit Kindern, die haben keine Zeit, über Klassenarbeiten und Büchern zu
hocken. Wenn Miss Boyd regelmäßig flachgelegt würde, dann würde sie auch nicht so viel aufgeben. Aber die sitzt zu Hause rum mit ihrer Katze, hört klassische Musik und korrigiert Hausaufgaben, bloß um uns zu drangsalieren. Manche Lehrer sind da ganz anders. Die geben dir jede Menge auf und haken dann einfach alles ab, schauen es nicht mal an. Man könnte eine Seite aus der Bibel abpinnen, und sie würden trotzdem »Sehr schön« drunterschreiben. Aber Miss Boyd? Die hat dich von Anfang an am Wickel. Entschuldige mal, Charlie, hast du das selbst geschrieben? Dann mußt du zugeben, nein, hast du nicht, und dann steckst du in der Scheiße, Mann.
    Es ist ein Fehler, zu früh zu kommen, da hat man zu viel Zeit, darüber nachzudenken, was einen erwartet. Welcher Teufel hat mich bloß geritten, daß ich mir eingebildet habe, ich könnte es mit amerikanischen Teenagern aufnehmen? Schiere Ahnungslosigkeit, was sonst. Es ist die Ära Eisenhower, und die Zeitungen berichten vom Elend der amerikanischen Jugendlichen. Sie sind die »Verlorenen Kinder der Verlorenen Kinder der Verlorenen Generation«. Kinofilme, Musicals, Bücher erzählen uns von ihrem Elend: Denn sie wissen nicht, was sie tun, Die Saat der Gewalt, West Side Story, Der Fänger im Roggen . Sie halten verzweifelte Reden. Das Leben ist sinnlos. Alle Erwachsenen sind falsche Fuffziger. Wozu überhaupt leben? Sie haben nichts, worauf sie sich freuen können, nicht einmal einen eigenen Krieg, in dem sie die Bewohner ferner Länder umbringen könnten, um dann im Konfettiregen über den Broadway zu paradieren und mit ihren Orden und ihrem Gehumpel vor den Mädchen anzugeben. Sinnlos, sich bei ihren Vätern zu beklagen, die gerade einen Krieg hinter sich haben, oder bei ihren Müttern, die jahrelang darauf gewartet haben, daß ihre Männer wieder nach Hause kommen. Die Väter sagen: Ach, halt doch die Klappe, und laß mich zufrieden. Ich hab ’ne Ladung Splitter in den Arsch gekriegt und keine Zeit, mir dein Genörgel und Gejammer anzuhören, wo du den Bauch voll und einen
Schrank voller Kleider hast. Herrgott noch mal, wie ich in deinem Alter war, hab ich auf dem Schrottplatz malocht, und dann hab ich am Hafen gearbeitet, damit du Würstchen auf die Schule gehen kannst. Also drück dir deine gottverdammten Pickel aus, und laß mich in Ruhe meine Zeitung lesen.
    Das Elend der Teenager ist so grenzenlos, daß sie sich zu Banden zusammenrotten und gegen andere Banden
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