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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer
Autoren: Frank McCourt
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Glück beschieden.

    Außerdem könntest du nie einer Filmmutter widersprechen, die von einer der alten irischen Schauspielerinnen, Sarah Allgood oder Una O’Connor, gespielt wird, mit ihrer scharfen Zunge und ihrer Leidensmiene. Deine eigene Mutter konnte zwar auch so gekränkt dreinschauen, daß es einem durch und durch ging, aber auf der großen Leinwand in Schwarzweiß oder Farbe ist es noch viel wirkungsvoller.
    Deinen Vater könnte Clark Gable spielen, nur daß der a) nicht mit dem nordirischen Akzent deines Vaters zurechtkommen würde und das b) ein arger Abstieg gegenüber Vom Winde verweht wäre, das, wie du dich erinnerst, in Irland verboten wurde, angeblich deshalb, weil Rhett Butler seine Angetraute Scarlett die Treppe hinauf und ins Bett trug, worüber die Filmzensoren in Dublin so entrüstet waren, daß sie kurzerhand den kompletten Film auf den Index setzten. Nein, du brauchst als Vater jemand anders, weil die irischen Zensoren genau aufpassen würden und du sehr enttäuscht wärst, wenn die Leute in Limerick, deiner Heimatstadt, und im übrigen Irland nicht die Möglichkeit bekämen, die Geschichte deiner unglücklichen Kindheit und deinen späteren Triumph als Lehrer und Filmstar zu sehen.
    Aber das wäre noch nicht das Ende der Geschichte. Die eigentliche Geschichte wäre, wie du schließlich dem Sirenengesang Hollywoods widerstanden hast, wie du, nachdem man dich nächtelang großzügig bewirtet, dich gefeiert und in die Betten weiblicher Stars und Möchtegernstars gelockt hat, festgestellt hast, wie hohl ihr Leben ist, wie sie dir auf diversen Seidenkissen ihr Herz ausgeschüttet haben, wie du ihnen, von Gewissensbissen geplagt, zugehört hast, während sie dir erklärten, wie sehr sie dich bewundern, weil du wegen deines Engagements für deine Schüler ein Idol, eine Hollywood-Ikone geworden bist, wie aufrichtig sie, die hinreißenden weiblichen Stars und Möchtegernstars, es bereuen, daß sie auf Abwege geraten sind, sich für die Leere eines Lebens in Hollywood entschieden haben, obwohl sie doch auf all dies verzichten und sich
täglich aus ganzem Herzen der wunderbaren Aufgabe widmen könnten, die zukünftigen Handwerker, Kaufleute und Bürokräfte Amerikas zu bilden. Wie schön müsse es doch sein, sagten sie, morgens aufzuwachen und fröhlich aus dem Bett zu springen, beflügelt von der Gewißheit, daß wieder ein Tag vor einem liegt, an dem man Gottes Werk an der amerikanischen Jugend verrichten kann, zufrieden mit dem kärglichen Lohn, den man erhält, da doch die wahre Belohnung in den dankbar glänzenden Augen der Schüler liegt, die einem Geschenke von ihren dankbaren und bewundernden Eltern bringen: Plätzchen, Brot, hausgemachte Nudeln und gelegentlich eine Flasche Wein aus dem kleinen Weinberg einer italienischen Familie, die Gaben der Mütter und Väter von hundertsiebzig Schülern an der McKee Vocational and Technical High School im Stadtteil Staten Island der Weltstadt New York.

TEIL I
Der lange Weg zur Pädagogik

1
    D a kommen sie.
    Und ich bin nicht bereit.
    Wie könnte ich auch?
    Ich muß das Lehren erst noch lernen.
     
    Am ersten Tag meiner Lehrerlaufbahn wäre ich fast entlassen worden, weil ich das Pausenbrot eines Schülers aufaß. Am zweiten Tag wäre ich fast entlassen worden, weil ich von der Möglichkeit sprach, mit einem Schaf befreundet zu sein. Sonst war nichts Bemerkenswertes an meinen dreißig Jahren in den High-School-Klassenzimmern von New York City. Mir kamen oft Zweifel, ob ich überhaupt am richtigen Platz war. Und am Ende fragte ich mich, wie ich mich so lange halten konnte.
     
    Wir schreiben März 1958. Ich sitze an meinem Pult in einem leeren Klassenzimmer der McKee High School, einer Berufs-und Technikerschule im Stadtteil Staten Island von New York City. Ich spiele mit den Gerätschaften meines neuen Metiers, als da sind: fünf gelbe Aktendeckel, einer für jede Klasse, ein Knäuel zerbröselnder Gummiringe, ein linierter Block aus der Kriegszeit mit Flecken von irgendwelchen für seine Herstellung benutzten Substanzen, ein zerrupfter Tafelschwamm, ein Stapel weiße Kärtchen, die ich Reihe um Reihe in die Schlitze dieses ramponierten roten Ordners stecken werde, damit sie mir helfen, die Namen von gut hundertsechzig Jungen und Mädchen aus fünf verschiedenen Klassen zu behalten, die Tag für Tag in Reih und Glied vor mir sitzen werden. Auf den Kärtchen vermerke ich ihre Anwesenheit und ihre Verspätungen
und bringe kleine Zeichen an, wenn sie sich
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