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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer
Autoren: Frank McCourt
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sitzt hinter seinem Schreibtisch, spricht ins Telefon, raucht eine Zigarette, sagt immer wieder: Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich werde mit dem Betreffenden reden. Er ist neu bei uns, wissen Sie.
    Er legt auf. Schafe. Was ist das für eine Geschichte mit den Schafen?
    Schafe?
    Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll. Jemand hat sich beschwert, daß Sie vor der Klasse »verdammt noch mal« sagen. Ich weiß ja, Sie sind frisch vom Schiff runter, kommen aus einem Agrarland und müssen sich erst noch eingewöhnen, aber etwas gesunden Menschenverstand sollte man doch voraussetzen können.
    Nein, Sir, nicht frisch vom Schiff. Ich bin seit achteinhalb Jahren hier, meine zwei Jahre bei der Army eingeschlossen, die Jahre als Kleinkind in Brooklyn nicht mitgerechnet.
    Also ich bitte Sie. Erst das Sandwich, jetzt die Schafe. Das Scheißtelefon läuft heiß. Eltern in Harnisch. Ich muß meinen Arsch retten. Sie sind erst zwei Tage bei uns und schon zwei Tage in der Bredouille. Wie machen Sie das? Offenbar neigen Sie dazu, Mist zu bauen. Warum in Dreiteufelsnamen mußten Sie den Kindern das mit den Schafen erzählen?
    Tut mir leid. Die haben mir andauernd Fragen gestellt, und ich hab die Nerven verloren. Die wollten mich bloß von der Rechtschreibübung abhalten.
    Und?
    Na ja, das mit den Schafen sollte eine Art Witz sein.
    Aha, so so, mhm. Sie stellen sich hin und reden der Sodomie das Wort. Dreizehn Erziehungsberechtigte fordern Ihre Entlassung. In Staten Island leben anständige Menschen.

    Das war doch nur ein Scherz.
    Nichts da, junger Mann. Gescherzt wird hier nicht. Alles zu seiner Zeit und am rechten Ort. Was Sie vor der Klasse sagen, wird ernst genommen. Sie sind der Lehrer. Sie sagen, Sie haben was mit Schafen gehabt, und die glauben Ihnen jedes Wort. Woher sollen sie die Paarungsgewohnheiten der Iren kennen?
    Tut mir leid.
    Diesmal will ich noch Gnade vor Recht ergehen lassen. Ich sage den Eltern, Sie sind ein irischer Einwanderer frisch vom Schiff.
    Aber ich bin hier geboren.
    Könnten Sie mal einen Moment den Mund halten, während ich versuche, Ihre Haut zu retten? Diesmal lasse ich es Ihnen noch durchgehen. Ich lege keine Notiz in Ihre Personalakte. Sie ahnen ja nicht, welche Konsequenzen so eine Notiz in Ihrer Personalakte hätte. Wenn Sie es hier zu irgendwas bringen wollen, Rektor, Konrektor, Vertrauenslehrer, würde Ihnen diese Notiz immer im Weg stehen. Sie wäre der Anfang vom Ende.
    Sir, ich möchte nicht Rektor werden. Ich möchte nur unterrichten.
    Ja, ja. Das sagen alle. Warten Sie’s ab. Die Kinder sorgen dafür, daß Sie graue Haare kriegen, bevor Sie dreißig sind.
    Ich war eindeutig nicht dafür geschaffen, einer dieser tatkräftigen Lehrer zu werden, die sich über alle Fragen, Forderungen und Beschwerden hinwegsetzen und ihren Unterricht wie geplant durchziehen. Das hätte mich an die Schule in Limerick erinnert, wo der Stoff alles und wir Schüler nichts waren. Ich träumte bereits von einer Schule, in der die Lehrer Mentoren und Vertraute sind und keine Aufseher. Ich hatte kein pädagogisches Konzept, abgesehen davon, daß ich den Bürokraten mißtraute, den Vorgesetzten, die den Klassenzimmern entflohen waren, nur um kehrtzumachen und fortan die Insassen dieser Klassenzimmer zu triezen, Schüler wie Lehrer gleichermaßen. Es war mir immer zuwider, ihre Formulare auszufüllen, ihre
Vorschriften zu beachten, ihre Prüfungen abzuhalten, ihre Schnüffelei hinzunehmen und mich nach ihren Lehrplänen zu richten.
    Hätte jemals ein Rektor gesagt, die Klasse gehört Ihnen, Mr. McCourt, machen Sie mit ihr, was Sie wollen, dann hätte ich zu meinen Schülern gesagt, schiebt die Stühle weg. Legt euch auf den Boden. Schlaft.
    Was?
    Ich sagte, ihr sollt euch schlafen legen.
    Warum?
    Denkt drüber nach, während ihr da auf dem Boden liegt. Sie hätten sich auf den Boden gelegt, und ein paar wären eingedöst. Leises Gekicher, wenn ein Junge näher an ein Mädchen herangerückt wäre. Die Schlafenden hätten anheimelnd geschnarcht. Ich hätte mich neben ihnen auf dem Boden ausgestreckt und gefragt, ob jemand ein Wiegenlied kennt. Bestimmt hätte eines der Mädchen angefangen zu singen, und die anderen wären eingefallen. Ein Junge hätte vielleicht gesagt, Mann, wenn jetzt der Rektor reinkommt. Ja. Das Wiegenlied geht weiter, ein Murmeln, das sich durch den Raum zieht. Mr. McCourt, wann stehen wir auf? Die anderen machen psst, und er verstummt. Es klingelt, und nach und nach erheben
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