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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer
Autoren: Frank McCourt
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andere eintrat. Er war mir nichts schuldig und hat mich trotzdem verteidigt, und diese Art Mut hoffte ich irgendwann auch mal zu haben.
    Meine Schüler fragen mich nach meiner Familie, und Bruchstücke aus der Vergangenheit gehen mir durch den Kopf. Ich merke, daß ich Entdeckungen über mich selbst mache, und ich erzähle diese Geschichte so, wie meine Mutter sie einer Nachbarin erzählt hat:
    Ich hab den Kinderwagen geschoben, mit Malachy drin, der war damals noch ein kleines Kerlchen, keine zwei Jahre alt. Frank ist neben mir hergelaufen. Vor Todds Laden in der O’Connell Street hält ein langes schwarzes Auto an der Bordsteinkante,
und eine reiche Frau steigt aus, mit Pelzen und Schmuck behängt. Was soll ich Ihnen sagen, schaut die doch in den Wagen und bietet mir an, mir Malachy auf der Stelle abzukaufen. Sie können sich vorstellen, was das für ein Schock für mich war, eine Frau, die Malachy kaufen will, mit seinen goldblonden Haaren, seinen rosigen Bäckchen, seinen allerliebsten perlweißen Zähnchen. Er war so allerliebst da in seinem Wagen, und ich hab gewußt, es wird mir das Herz brechen, wenn ich mich von ihm trennen muß. Außerdem, was hätte mein Mann gesagt, wenn ich heimgekommen wär und ihm gesagt hätte, ich hab das Kind verkauft? Also hab ich nein gesagt, aber die Frau hat so traurig dreingeschaut, daß sie mir richtig leid getan hat.
    Als ich älter war und zum hundertsten Mal diese Geschichte von ihr hörte, sagte ich, sie hätte Malachy verkaufen sollen, dann hätten wir anderen mehr zu essen gehabt. Darauf sie: Tja, ich hab dich als Ersatz angeboten, aber dich wollte die Frau nicht.
    Mädchen in der Klasse sagten, ah, nee, Mr. McCourt, das hätte Ihre Mutter Ihnen nicht antun dürfen. Niemand sollte seine Kinder wem andern verkaufen. So häßlich sind Sie auch wieder nicht.
    Ein Junge sagte, na ja, ein Clark Gable ist er nicht gerade. War nur Spaß, Mr. McCourt.
     
    Mea culpa .
    Als ich sechs war, sagte der Lehrer in Irland zu mir, ich sei ein böser Junge. Du bist ein sehr böser Junge. Er sagte, alle in der Klasse sind sehr böse Jungen. Er wies uns extra darauf hin, daß er »sehr« gesagt hatte, ein Wort, das er nur bei ganz besonderen Gelegenheiten verwende. Wenn wir dieses Wort bei der Beantwortung einer Frage oder in einem Aufsatz benutzen sollten, würde er uns die Hammelbeine langziehen. Aber hier sei es wirklich angebracht. So böse seien wir. Einen solchen Haufen habe er noch nie gesehen, und er frage sich, was es für einen
Zweck habe, solche Flegel und Strohköpfe wie uns zu unterrichten. Wir hätten nur amerikanischen Schund aus dem Lyric Cinema im Kopf. Und genau diesen Kopf sollten wir neigen, uns an die Brust schlagen und sagen, Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa . Ich dachte, das bedeute Tut mir leid, bis er an die Tafel schrieb, »Mea culpa. Ich bin schuldig.« Er sagte, wir seien in der Erbsünde geboren, von der uns eigentlich das Taufwasser hätte reinigen müssen. Bei unseresgleichen sei aber all das gute Taufwasser eindeutig verschwendet gewesen. Ein einziger Blick in unsere tückischen kleinen Augen sei Beweis genug für unsere Bosheit.
    Er war dafür da, uns auf die Erstbeichte und die Erstkommunion vorzubereiten, um unsere nichtswürdigen Seelen zu retten. Er unterwies uns in Gewissenserforschung. Wir sollten in uns hineinschauen, die Landschaft unserer Seele erkunden. Wir seien in der Erbsünde geboren, und dieser eklige, klebrige Makel habe das strahlende Weiß unserer Seele getrübt. Die Taufe habe diese Reinheit wiederhergestellt. Jetzt aber seien wir älter, und die Sünden träten hervor: Geschwüre, Wunden, Abszesse. Diese widerwärtigen, wimmelnden, zappelnden Maden sollten wir an Gottes strahlendes Licht zerren. Gewissenserforschung, Knaben, gefolgt vom Mea culpa . Ein starkes Abführmittel, Jungs. Reinigt besser als ein Löffel Rhizinusöl.
    Tag für Tag übten wir uns in Gewissenserforschung und bekannten vor ihm und der Klasse unsere Sünden. Der Lehrer sagte nichts, saß an seinem Pult, nickte ein, spielte mit dem dünnen Stock, mit dem er uns im Zustand der Gnade hielt. Wir bekannten uns zu allen sieben Todsünden: Hochmut, Habsucht, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid, Trägheit. Er zeigte mit dem Stock und sagte, Madigan, beichte uns, wie du die Todsünde Neid begangen hast. Unsere Lieblingstodsünde für die Beichte war die Völlerei, und wenn er mit dem Stock auf Paddy Clohessy zeigte und zu ihm sagte, Clohessy, die Völlerei, dann beschrieb
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