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Shining Girls (German Edition)

Shining Girls (German Edition)

Titel: Shining Girls (German Edition)
Autoren: Lauren Beukes
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Harper
    17 . Juli 1974
    Er umklammert das orangefarbene Plastikpony in der Tasche seines Jacketts. Es liegt schweißig in seiner Hand. Hier ist Hochsommer, zu heiß für das, was er trägt. Aber er hat gelernt, bei diesem Vorhaben eine Art Uniform anzulegen; vor allem Jeans. Er geht mit großen Schritten – ein Mann, der zu einem Ziel unterwegs ist, trotz seines Hinkens. Harper Curtis ist kein Schmarotzer. Und die Zeit wartet auf niemanden. Außer, wenn sie es tut.
    Das Mädchen sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, ihre bloßen Knie sind so weiß und knochig wie Vogelschädel, und sie haben Grasflecken. Bei dem knirschenden Geräusch seiner Stiefel auf dem Kies sieht die Kleine auf, aber nur lang genug für ihn, um zu erkennen, dass ihre Augen unter diesem Gewirr schmuddeliger Locken braun sind, dann beachtet sie ihn nicht mehr, sondern widmet sich wieder ihrer Beschäftigung.
    Harper ist enttäuscht. Er hatte sich beim Näherkommen vorgestellt, ihre Augen wären vielleicht blau; die Farbe des Lake Michigan, weit draußen, wo die Uferlinie verschwindet und man sich fühlt, als wäre man mitten auf dem Ozean. Braun ist die Farbe des Krabbenfischens, wenn der Schlamm an den seichten Stellen aufgewühlt ist und man Scheiße nicht als Scheiße erkennt.
    «Was machst du da?», fragt er und lässt seine Stimme fröhlich klingen. Er geht neben ihr in dem spärlichen Gras in die Hocke. Wirklich, er hat noch nie ein Kind mit so wildem Haar gesehen. Als hätte ein Staubteufel, ihr eigener kleiner Wirbelsturm, die Kleine herumkreiseln lassen und auch noch den ganzen Ramsch durcheinandergeschleudert, der wahllos um sie verteilt ist: ein paar rostige Blechdosen, ein auf die Seite gekippter, verbogener Fahrradreifen, von dem die Speichen hochstehen. Ihre Aufmerksamkeit ist auf eine angeschlagene Teetasse gerichtet, die sie umgedreht hat, sodass die silberfarbenen Blumen am oberen Rand im Gras verschwinden. Der Griff ist abgebrochen, hat zwei grobe Stümpfe hinterlassen. «Spielst du Teekränzchen, Herzchen?», versucht er es noch einmal.
    «Das ist kein Teekränzchen», murmelt sie in den blütenblattförmigen Kragen ihres Karohemdes. Kinder mit Sommersprossen sollten nicht so ernst sein, denkt er. Das passt nicht zu ihnen.
    «Tja, auch gut», sagt er. «Ich trinke sowieso lieber Kaffee. Geben Sie mir bitte eine Tasse, Ma’am? Schwarz, mit drei Stück Würfelzucker, okay?» Er greift nach der angestoßenen Porzellantasse, und das Mädchen schreit auf und schlägt seine Hand weg. Ein dunkles, wütendes Summen dringt unter der umgedrehten Tasse hervor.
    «Meine Güte. Was hast du denn da drunter?»
    «Das hier ist kein Teekränzchen! Es ist ein Zirkus!»
    «Tatsächlich?» Er knipst sein Lächeln an, das dümmliche, das sagt, dass er sich selbst nicht allzu ernst nimmt und die anderen es auch nicht tun sollten. Aber sein Handrücken brennt, wo sie ihn geschlagen hat.
    Sie funkelt ihn misstrauisch an. Nicht, weil er ein böser Mann sein oder ihr etwas antun könnte. Sondern weil sie sich ärgert, dass er nichts kapiert. Er schaut sich noch einmal um, sorgfältiger jetzt, und da erkennt er ihn: ihren Ramschzirkus. Die große Hauptmanege, deren Rund sie mit dem Finger in den Schmutz gezeichnet hat, ein Drahtseil aus einem flachgeklopften Trinkhalm, der zwischen zwei Getränkedosen festgemacht ist, das Riesenrad aus dem eingedellten Fahrradreifen, der schräg an einem Busch lehnt, von einem Stein an Ort und Stelle gehalten, und aus Zeitschriften ausgerissene Papiermenschen, die zwischen seinen Speichen stecken.
    Es entgeht ihm nicht, dass der Stein, der den Reifen aufrecht hält, perfekt in seine Faust passen würde. Und auch nicht, dass eine dieser nadeldünnen Fahrradspeichen so leicht durch das Auge des Mädchens gleiten würde wie durch Wackelpudding. Er presst das Plastikpony in seiner Tasche zusammen. Das wilde Summen, das unter der Tasse hervordringt, läuft ihm das gesamte Rückgrat hinunter und verursacht ein Ziehen in seinem Schritt.
    Die Tasse ruckelt, und das Mädchen hält sie mit den Händen fest.
    «Wow!» Die Kleine lacht, bricht den Bann.
    «Wow, echt! Hast du da einen Löwen drunter?» Er schubst sie mit der Schulter an, und ein Lächeln bricht durch ihre finstere Miene, aber nur ein kleines. «Bist du Dompteurin? Bringst du ihm bei, durch einen brennenden Reifen zu springen?»
    Sie grinst, ihre Sommersprossen ziehen sich mit ihren Apfelbäckchen hoch, strahlend weiße Zähne werden sichtbar. «Nö, Rachel sagt,
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