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Täuscher

Täuscher

Titel: Täuscher
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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lang und schlank, auf dem anderen zwei dünne Zitronenscheibchen.
    Ein geblümter Steingutteller mit Keksen und Pralinees, sowie zwei Teetassen mit blauem Zwiebelmuster und passende Untertassen. Eine der beiden Teetassen war leer, zwei Scheiben Zitrone lagen auf ihrem Grund. Die andere war zur Hälfte ausgetrunken. Auf der Oberfläche der Flüssigkeit hatte sich eine von dunkelbraun ins Grüne schillernde Haut gebildet. Die benutzte Teekanne stand etwas abseits auf dem Serviertischchen.
    Die Tote im Schlafzimmer, das Teegeschirr, der Klavierhocker – nichts passte zusammen. Warum sollte die Tochter der Ermordeten in aller Seelenruhe einen Besucher empfangen? Und wann war der gekommen, vor oder nach der Tat? Tee trinken Tür an Tür mit der Toten? Wollte sie sich der leidig gewordenen Mutter entledigen, hätte sie es dann nicht auf eine andere Art gemacht? Kein Mensch wäre vom Tod einer kranken alten Frau überrascht gewesen.
    Während sich Huther im Wohnzimmer umgesehen hatte, war ein Teil der Gerichtskommission eingetroffen.
    Huther hielt seine Anwesenheit im Zimmer der Ermordeten für überflüssig. Er hatte gesehen, was er sehen musste, und solange der Erste Staatsanwalt nicht vor Ort war und ausdrücklich nach ihm verlangte, zog er es vor, sich in den restlichen Räumen der Wohnung umzusehen. Das Ergebnis der Kommission würde er spätestens in ein paar Tagen in deren Bericht lesen können.
    An der linken Seite des Flures lagen der Reihe nach die Küche, eine Abstellkammer, ein Abort und ein weiteres Zimmer. So, wie es aussah, das Schlafzimmer der Clara Ganslmeier. Alle Zimmer sahen bewohnt, aber ganz und gar nicht danach aus, als wären sie übereilt verlassen worden. Auch konnte er keinen Hinweis auf den Verbleib der Tochter der Ermordeten finden. Huther konnte es sich immer weniger vorstellen, dass Clara Ganslmeier so einfach weggegangen war, weder vor noch nach dem Tod der Mutter.
    Er ging über den Flur hinüber in das erste Zimmer auf der rechten Seite. Die Tür stand einen Spalt offen, er öffnete sie ganz. Der Raum war klein, eine Kammer. Auf dem Boden vor einem zweitürigen Schrank lag ein Handtuch. In der Ecke ein einfacher Waschtisch aus Holz, ein Ofen, ein Gestell und unter einem kleinen Fenster ein Bett. Huther nahm an, dass dies die Kammer war, die an Bertha Beer vermietet werden sollte. Die Luft war abgestanden, schwer, auf dem Bett lagen aufgehäuft Kleidungsstücke, Kissen und Decken. In dieser sonst so auf Ordnung und Sauberkeit bedachten Wohnung ein seltsamer Anblick. Huther ging hinüber zum Bett, schob einige Kleidungsstücke und Kissen zur Seite. Nichts, was seine Aufmerksamkeit auch nur im Geringsten erregt hätte.
    Er drehte sich um und war ein, zwei Schritte in Richtung Tür gegangen, als er ein Scharren hörte. Er blieb stehen, blickte sich suchend um. Das Geräusch kam aus dem kleinen Kanonenofen. Er ging hinüber, öffnete die gusseiserne Ofentür. Auf dem Rost über dem Aschenschuber saß, ganz in den hintersten Winkel gedrängt, ein verängstigter kleiner Vogel. Der Kriminaloberwachtmeister legte seinen Hut auf das Bett, schob beide Ärmel seines Mantels zurück und griff in das Ofenloch. Er bekam das Tier zu fassen und zog es behutsam heraus.
    »Bist durch den Kamin geplumpst, Vogerl. Hast Glück gehabt, dass ich dich gefunden hab.«
    Der kleine Körper pulsierte im Rhythmus des schlagenden Herzens in seiner Hand, die Augen verängstigt weit aufgerissen. Beide Hände schützend um das Tier gelegt, ging er hinüber zum Bett. Er beugte sich weit nach vorn, um das Fenster zu öffnen. In einem Augenblick der Unachtsamkeit schlüpfte der Vogel durch seine Hand, fiel flatternd auf die auf dem Bett liegenden Kleider und Kissen. Noch ehe der Kriminaloberwachtmeister ihn greifen konnte, hatte er sich unter dem Haufen verkrochen. Huther griff nach, diesmal konnte er ihn nicht richtig fassen. Das verängstigte Tier zappelte und pickte. Es schlüpfte ein zweites Mal aus der Hand. Diesmal flatterte es auf den Fußboden, verkroch sich unter der Bettstatt. Huther bückte sich, schließlich kniete er sich auf den Boden, beugte sich mit dem Oberkörper ganz weit hinunter, bis er die Dielenbretter berührte. Der Vogel hatte sich ganz nach hinten an die Wand verkrochen. Huther legte sich flach auf den Boden, versuchte den Arm so weit wie möglich auszustrecken. Dicke Staubflusen lagen unter dem Bett. Bis auf eine Stelle, dort waren die Holzdielen dunkel verfärbt, ganz so, als hätten sie
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