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Täuscher

Täuscher

Titel: Täuscher
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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auf der rechten Seite zu. Von dort führte eine weitere Tür in das dahinterliegende Schlafzimmer. Sie war angelehnt. Johann Huther drückte leicht mit der flachen Hand gegen das Türblatt, öffnete sie ganz, blieb im Türrahmen stehen, ohne den Raum selbst zu betreten.
    Das Zimmer war spärlich möbliert. Ein eintüriger Schrank, eine Kommode, ein Sekretär, ein Bett, daneben ein kleiner Kanonenofen. Die beiden unteren Schubladen der Kommode waren ein Stück aufgezogen, ebenso die des Sekretärs. Darüber ein Fenster. Trotz der Mittagsstunde kam keine Sonne in das Zimmer, alles lag im Halbdunkel. Vor einer weiteren Tür, die zu einem anderen Raum führte, ein Nachtstuhl. Er ging hinüber zum Bett. Erst hier nahm er den leicht süßlichen, schweren Geruch war.
    Elsa Ganslmeier ruhte in halb sitzender Haltung auf ihrer Bettstatt. In ihrem Rücken mehrere Kissen, die sie stützen sollten. Huther dachte an seine eigene Großmutter, die sich auch nie zum Schlafen hingelegt hatte, angeblich hatte sie sich so mit dem Schnaufen leichtergetan. Solange er sich erinnern konnte, hatte sie nachts im Bett gehustet. Zeit ihres Lebens hatte sie Angst davor gehabt, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen, zu ersticken, wenn sie sich flach hinlegte, und nahm es lieber in Kauf, schlecht zu schlafen. Irrglaube – als wenn man nicht auch im Sitzen ersticken könnte, gerade wie er es als Kind lange Zeit vermieden hatte, seine Hände über der Bettdecke zu falten, da es ihn an die aufgebahrten Toten erinnerte, wie sie dalagen, mit Rosenkränzen in den verschränkten Händen. Der Tod hatte seine Großmutter schließlich mitten am helllichten Tag auf einer Bank im Garten sitzend geholt. Sie war friedlich in der warmen Frühlingssonne eingeschlafen.
    Eine Gnade, die Elsa Ganslmeier nicht gewährt worden war. Der Kopf der alten Frau war mit einem Tuch verhüllt, ganz so, als hätten der oder die Täter den Anblick der Toten nicht ertragen. Huther hob das Tuch so weit an, dass er einen Blick auf das Gesicht werfen konnte. Der Geruch nahm ihm fast den Atem. Er zwang sich, beugte sich ganz nah über die Leiche, um sie genauer anzusehen. Im Mund steckte ein Knebel. Der Stoff war blutig, auch auf der Unterlippe war Blutschorf sichtbar, ebenso am Mundwinkel. Ein Auge war geschlossen, das andere leicht geöffnet. Huther ließ das Tuch wieder über das Gesicht fallen. Er richtete sich auf, trat einen Schritt zurück. Ihm fiel auf, dass die Hände der Leiche in ein Tuch gewickelt waren.
    Ihre Bettdecke war etwas verrutscht und gab den Blick ein kleines Stück weit auf den Unterkörper frei. Huther sah die mit Strümpfen bekleideten Beine. Er schob die Decke ein wenig weiter zur Seite. Auf dem Leib lag eine Karlsbader Wärmflasche. Die Tote trug zwei leichte Strickjacken übereinander. Am Ausschnitt und an den Ärmeln lugten noch ein Flanell-Leibchen und ein gestricktes Oberhemd hervor. Alles sah danach aus, als hätte sich die alte Dame gerade zu Bett begeben, vielleicht war sie sogar schon ein wenig eingenickt, als sie wenig später gewaltsam zu Tode gekommen war. Neben dem Bett, auf einem kleinen Tischchen, stand ein Glas mit Wasser.
    Huther blieb noch einen kurzen Augenblick vor dem Bett stehen, dann drehte er sich um, verließ den Raum und ging hinaus in den Gang und von dort hinüber in das Zimmer, das an der Stirnseite des Flures lag.
    Er war im Salon. Dieses altmodische Wort drängte sich ihm auf, als er den Raum betrat. Er war sich sicher, die Ermordete hätte das Wohnzimmer so genannt, auch als Reminiszenz an eine untergegangene Zeit. Alles machte einen leicht abgewohnten, aber trotzdem gefälligen Eindruck. Selbst kleinste Dinge waren liebevoll und ordentlich arrangiert, und doch sah es aus, als hätte jemand den Raum überstürzt verlassen.
    Schräg über Eck stand das geöffnete Klavier. Davor in einiger Entfernung der Hocker, der Klavierspieler musste ihn im Aufstehen zur Seite gestoßen haben. Ganz so, als wäre er nur kurz und in Eile hinaus, um gleich wieder zurückzukommen und weiterzuspielen. Das Notenbuch lag aufgeschlagen: »Melodie von Rubinstein,
Liebesfeier
«.
    Die zwei Fenster des Zimmers gingen zur Neustadt hinaus. Davor stand in einigem Abstand mit der Rückenlehne zur Fensterwand eine Chaiselongue. Daneben zwei Clubsessel und ein achteckiges Tischchen. Huther ging hinüber. Das Tischchen war mit einer weißen Serviette gedeckt. Darauf eine Zuckerdose, zwei Glastellerchen, auf dem einen vier Zigaretten, ungewöhnlich
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