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Täuscher

Täuscher

Titel: Täuscher
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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Jahr verrückt. Am Donnerstag hatte es geschneit, und auch wenn der Schnee noch am selben Tag durch den Regen weggewaschen worden war, war es doch viel zu kalt. Als Kriminaloberwachtmeister Johann Huther am Samstagmorgen das Haus verließ, sah es für kurze Zeit so aus, als würde der Himmel etwas aufklaren. Im Flur seiner Wohnung zögerte er einen Augenblick, streckte die Hand bereits nach dem neben der Wohnungstür an der Garderobe lehnenden Schirm aus, ließ sich aber dann von den Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hereinfielen, umstimmen und verließ das Haus ohne Regenschirm. Wenig später bereute er diese Entscheidung. Auf dem Weg zum Dienst fing es unvermittelt an, wie aus Eimern zu gießen. Völlig durchnässt und übellaunig kam er schließlich auf der Polizeiwache an.
    Seine Stimmung verbesserte sich auch nach Dienstbeginn nicht, Huther saß an seinem Schreibtisch und blickte hinüber zum Mantel, der neben der Tür hing. Auf dem Holzboden hatte sich eine Wasserlache gebildet, die Dielen sogen langsam die Feuchtigkeit auf und färbten sich dunkel. Der Kriminaloberwachtmeister wendete den Kopf und sah zu den beiden Frauenspersonen hinüber, die ihm gegenüber Platz genommen hatten. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, hatte schlecht geschlafen. Daran konnte auch die Tasse Malzkaffee nichts ändern, die zur Hälfte ausgetrunken vor ihm auf dem Schreibtisch stand.
    Das jüngste seiner drei Kinder zahnte, sein Wimmern und Weinen hatte die ganze Nacht angehalten und war bis in den letzten Winkel der kleinen Zweizimmerwohnung zu hören gewesen. Erst in der Frühe, als das Kind endlich ruhiger geworden war, war er für kurze Zeit eingeschlafen.
    Auch der Morgen schien schon kurz nach dem Aufstehen nur weiteres Unbill zu bringen; als hätten die durchwachte Nacht und das schreiende Kind nicht ausgereicht, war auch noch das Etagenklosett besetzt gewesen, welches sie sich mit den anderen Familien desselben Stockwerks teilten. Er musste zum Dienst, hatte keine Zeit zu warten, und so fand er sich nun in einem ganz und gar unpässlichen Zustand hinter seinem Schreibtisch wieder. Ein Blick auf die ihm gegenübersitzenden Frauen genügte, um zu ahnen, dass sich seine Lage auch in absehbarer Zeit nicht verbessern würde. Er würde bis auf weiteres auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch festsitzen, mit schnürenden Schmerzen in den Eingeweiden und keinerlei Aussicht auf Erleichterung. Diese Erkenntnis dämpfte Huthers Stimmung noch mehr, und Resignation breitete sich wie ein Mantel über ihn aus.
    Die beiden Weiberleut gackerten wie aufgeregte Hühner durcheinander. »Megären«, sagte er leise zu sich selbst. Gleich nach Dienstbeginn, er hatte den Mantel aufgehängt und wollte gerade die Waschräume der Wache aufsuchen, waren sie hier in seinem Büro aufgetaucht. Erwin Weinbeck, Huthers junger Kollege, hatte die Frauen ins Zimmer geführt; nach Meinung des übereifrigen Jungspunds lag der Verdacht nahe, dass es sich bei dem durch die beiden Damen Angezeigten um ein Verbrechen handelte, oder zumindest um einen ungewöhnlichen Vorfall, der in diese Richtung verwies. Huther war die dienstbeflissene Art, in der der Anwärter seinen Verdacht vorbrachte, zuwider, darüber hinaus interessierte er sich schon an Tagen, an denen er in weitaus besserer Stimmung war als heute, nicht im Geringsten für die Vorahnungen oder vagen Mutmaßungen seiner Kollegen. Diese neigten seiner Auffassung nach dazu, das Verbrechen überall zu sehen. Der Kriminaloberwachtmeister führte ihren Eifer auf die wachsende Begeisterung der Jugend für das Kino und die darin gezeigten Detektiv- und Kriminalfilme zurück. Selbst hier in Landshut wuchsen an jeder Ecke neumodische Lichtspielhäuser aus dem Boden. Kein Wunder, dass alle Welt hysterisch wurde und glaubte, hinter jedem Vorfall stecke gleich das große Verbrechen, das Ewigböse, welches nur auf Aufklärung warte.
    Huther räusperte sich, strich mit der Linken über sein Sakko und holte mit der Rechten seine Uhr aus der Jackentasche. Zehn Minuten nach zehn. Er räusperte sich erneut, diesmal etwas lauter. Und tatsächlich, die Damen hielten für einen Moment inne.
    Johann Huther nutzte die Gelegenheit. »Meine Damen, sind S’ doch nicht so erhitzt, beruhigen Sie sich. Schnaufen S’ gut durch und erzählen mir alles noch einmal der Reihe nach. Und wenn ich bitten darf, eine nach der anderen und nicht gleichzeitig.«
    Auguste Kölbl und Bertha Beer, die beiden Frauen auf der anderen Seite
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