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Täuscher

Täuscher

Titel: Täuscher
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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hat bei Hof noch jeder Uniform getragen. Keiner durfte dem König ohne angemessene Bekleidung unter die Augen treten. Die waren nicht so gschlampig angezogen wie heute. Es gab die kleine Uniform, dann den Frack, und bei besonderen Gelegenheiten wurde das Degengehänge mit Degen angelegt.«
    »Mutter, ich weiß, du hast es schon so oft erzählt. Und zur Geburt vom Vater bekam die Großmutter ein kleines Brevier zur Erbauung. Von der Königin Therese höchstpersönlich unterschrieben und mit den besten Wünschen für Mutter und Kind.«
    »Da brauchst gar nicht so schnaufen, Clara. Damals legte man noch Wert auf Etikette, aber heuzutage? Schau dich doch um, nicht mehr schön ist es auf dieser Welt, nicht mehr schön. Und das Geld wird auch immer weniger wert.«
    »Brauchst du noch was, ich geh jetzt über die Gasse zum Metzger.«
    »Ja, geh nur, Kind, und denk bitte an die Wärmflasche. Wo gehst denn hin, und bis wann bist denn wieder da?«
    »Ich bin gleich wieder da, Mutter. Ich geh nur schnell zum Metzger. Ich bin keine zehn Minuten weg.«

Samstag, 1 . April 1922 ,
Polizeipräsidium Landshut,
Kriminaloberwachtmeister Johann Huther,
12 . 47  Uhr mittags
    Johann Huther hatte gerade wieder an seinem Schreibtisch Platz genommen, als Erwin Weinbeck ohne anzuklopfen und völlig außer Atem ins Zimmer stürmte. Die Kassiererin habe recht gehabt, und sie hätten die alte Frau Ganslmeier gefunden, aber für die komme jede Hilfe zu spät. Alles sei schrecklich, Huther solle sofort selbst in die Neustadt. Er habe schon den Kollegen Wurzer alarmiert, der wohne nur ein paar Häuser weiter und habe heute Bereitschaft. Auch die Gendarmen seien schon vor Ort, damit keiner in die Wohnung komme. Er selbst sei wieder hierher, um ihn zu holen, damit alles möglichst schnell gehe.
    Ohne Zeit zu verlieren und die weiteren Ausführungen Weinbecks abzuwarten, riss Huther Hut und Mantel von der Garderobe, zog beides im Laufen an und eilte hinüber in die Neustadt.
    Die Nachricht, dass in der Ganslmeier’schen Wohnung etwas passiert sein musste, hatte sich bereits im ganzen Haus verbreitet. Im engen Stiegenhaus standen die Bewohner dicht gedrängt. Huther bahnte sich seinen Weg hinauf in den dritten Stock. Dort wartete Kriminalwachtmeister Josef Wurzer vor der Wohnung.
    »Ist die Gerichtskommission schon da?«
    Ganz außer Atem, hielt Huther sich nicht lange mit einer Begrüßung auf.
    »Noch nicht, aber die Herren sind unterwegs«, gab Wurzer ihm zur Antwort.
    »Wer ist dabei?«
    »Der Landgerichtsarzt Dr. Steidle, der Dritte Staatsanwalt Dr. Walter und der Herr Bürgermeister. Soweit ich weiß. Der Amtsrichter Kimmerle und der Erste Staatsanwalt Dr. Fersch sind informiert, aber das wird noch dauern, bis die kommen. Der Dr. Fersch hatte heute keinen Dienst, und den Dr. Kimmerle haben wir auch erst ausfindig machen müssen.«
    »Gut. Ich geh rein und schau mir die Wohnung an. Den Herren können S’ dann ja sagen, dass ich bereits drinnen bin. Wo liegt sie?«
    »Wenn S’ reingehen, die zweite Tür auf der rechten Gangseite. Von dem Zimmer aus geht’s ins Schlafzimmer, und da sehen S’ sie dann gleich. Ist kein schöner Anblick.«
    »Das hab ich mir schon denken können. Wenn einer verhungert und verdurst’, dann ist das nie ein schöner Anblick«, sagte Huther mehr zu sich selbst, aber immer noch laut genug, dass sein Kollege ihm antwortete.
    »Die ist nicht verhungert, die haben s’ umbracht, aber schaun S’ lieber selber. Von der Tochter fehlt jede Spur. Es schaut aus, als ob die Zeugin recht gehabt hat und die junge Ganslmeier ist auf und davon mit ihrem Gspusi. Aber zuerst haben s’ der Mutter noch den Garaus gemacht. Und noch was – was soll aus den beiden Zeuginnen werden? Im Moment sitzen sie unten in der Hausmeisterwohnung, ein Schutzmann ist bei ihnen. Ich hab g’schaut, dass ich sie aus dem Stiegenhaus rausbekomme, die Dantschige hat mir die ganze Nachbarschaft rebellisch gemacht.«
    »Lassen S’ sie da, bis die Herren von der Kommission kommen, die sollen dann entscheiden. Ich hatte heute schon das Vergnügen, noch einmal brauch ich das nicht.«
    Die Diele wirkte düster, gerade groß genug für die Garderobe und eine schmale Kommode. Nach rechts schloss sich ein langer Gang an. Huther ging ihn entlang, die Türen an der linken Seite waren alle geschlossen. Die an der Stirnseite des Flures und zu den beiden Zimmern an der gegenüberliegenden Seite standen jeweils einen Spalt offen.
    Er ging auf das zweite Zimmer
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