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Täglich frische Leichen

Täglich frische Leichen

Titel: Täglich frische Leichen
Autoren: Carter Brown
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die Nasenwurzel.
    In den nächsten fünf Minuten
war es dann absolut sinnlos, etwas zu sagen, denn bei dem Lärm hätte ich mein
eigenes Wort nicht verstanden. Johnny brüllte mich aus Leibeskräften an und
wollte wissen, wo ich mich den ganzen Nachmittag herumgetrieben hätte; er hörte
überhaupt nicht hin, als ich’s ihm zu erzählen versuchte. Und Rafael schrie in
Spanisch auf Johnny ein, wobei er sich nicht ein einziges Mal wiederholte —
soweit ich das zu beurteilen mochte. Spanisch ist für Liebesgeflüster eine
wundervolle Sprache, aber ich glaube nicht, daß Rafael irgendwelche liebevollen
Worte benutzte.
    Als das schon eine Weile so
weitergegangen war, sah ich keinen Grund mehr, dabeizubleiben und mir ihr
Gezeter anzuhören; ich empfahl mich und ging meine Nase pudern. Im Handumdrehen
— es können nicht mehr als zwanzig Minuten gewesen sein — hatte ich mich wieder
hergerichtet und kehrte ins Büro zurück.
    Das erste, was mir auffiel, war
die Stille. Beide standen stumm da und starrten mich an. Johnny sah aus, als
sei ihm am hellen Tag ein Nachtgespenst erschienen.
    »Stimmt das wirklich, Mavis?«
fragte er ungläubig. »Liegt in seinem Kofferraum tatsächlich ein Toter?«
    »Und was für einer«, antwortete
ich. »Man könnte ihn schon einen Mausetoten nennen.« Das war ein Späßchen, aber
natürlich verstand Johnny es nicht. Ihm ein Lachen zu entlocken, ist noch schwerer
als bei ihm Geld lockerzumachen — und das will viel heißen.
    »Und ihr beide habt den ganzen
Nachmittag mit dem Versuch verbracht, ihn loszuwerden?« sagte er langsam. »Ach
du liebes Lieschen!«
    »George heißt er«, berichtigte
ich. »So haben wir ihn jedenfalls getauft.«
    »Wieso George?« forschte er mit
brüchiger Stimme.
    »Er trägt eine Perücke«, sagte
ich.
    »Und ist das ein Grund?«
    »Fällt dir ein besserer ein?«
    Johnny stöhnte laut. »Jedesmal,
wenn ich diesem Büro den Rücken kehre, passiert etwas. Wie kannst du uns denn
in so eine blödsinnige Katastrophe hineinziehen?«
    »Sie ist nicht blödsinnig«,
belehrte Rafael ihn entschieden. »Es ist viel schlimmer — sie ist todernst. Ich
brauche Ihre Hilfe.«
    »Sie sind nicht bei Trost«,
sagte Johnny. »Glauben Sie ja nicht, daß ich den Toten auch nur mit einer
zwanzig Meter langen Stange berühre.«
    »Wie ich Mavis schon erklärt
habe«, fuhr Rafael fort, »zahle ich das Doppelte des üblichen Honorars.«
    »In so einem Fall spielt Geld
überhaupt keine Rolle«, erwiderte Johnny kurzangebunden. »Ich will nichts damit
zu tun haben.«
    Rafael holte tief Luft. »Das
Dreifache?« fragte er mit Schmerz in der Stimme.
    »Ich sagte schon, Geld...«
Johnny hielt plötzlich inne und sah Rafael interessiert an. »Was haben Sie da
eben gesagt?«
    »Das Dreifache«, murmelte
Rafael. » Bandito !«
    »Na, ansehen kann man sich die
Sache wohl mal«, meinte Johnny vorsichtig. »Wo steht Ihr Wagen jetzt?«
    »In der Tiefgarage«, antwortete
ich. »Ich hielt es für besser, daß Rafael ihn nicht vor dem Haus stehen ließ,
weißt du, weil...«
    »Ich weiß«, schnappte Johnny.
»Fahren wir runter.«
    Wir stiegen in den Aufzug und
gingen zu Rafaels Wagen. Im Augenblick stand kein anderer Wagen unten, folglich
schien eine Inventur ohne Risiko. Rafael öffnete den Kofferraum, und Johnny
beugte sich vor, um besser sehen zu können — und da stieß er einen schrillen
Schrei aus und sprang zurück, als habe ihn eine Tarantel gestochen.
    »Tut mir leid, amigo «, erklärte Rafael besänftigend. »Ich hatte
keine Ahnung, daß der Anblick einer Leiche Sie derart aus dem Häuschen bringt.«
    Johnny blitzte ihn an, wobei
seine Nasenflügel bebten. »Im allgemeinen ist das auch nicht der Fall — amigo «,sagte er giftig. »Aber beim Anblick
dieser ganz speziellen Leiche hat es seine Gründe, das können Sie mir glauben.«
    »So?« Rafaels Interesse schien
geweckt. »Dann kennen Sie ihn also? Ist er ein Attentäter, der schon von der
hiesigen Polizei gesucht wurde?« Er machte ein hoffnungsvolles Gesicht. »Ist
gar eine Belohnung ausgesetzt?«
    »Nein«, entgegnete Johnny
tonlos. »Keine Belohnung — noch nicht. Aber es wird eine geben, amigo , eine beträchtliche. Auf den Kopf
dessen, der ihn umgebracht hat, und zwar sobald man weiß, daß er tot ist.«
    Rafael runzelte die Stirn. »Ich
fürchte, ich verstehe Sie nicht ganz, Johnny. Wer war dieser Mann?«
    »Och, nur ein kleiner, alter
unwichtiger Multimillionär.« Johnny lachte schrill. »Bestenfalls eine von den
sechs
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