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Sweet about me

Sweet about me

Titel: Sweet about me
Autoren: Dietmar Sous
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zu. Tom ließ mich zappeln, fünf Minuten, zehn Minuten. Ich läutete Sturm. Heike schrie: » Kannst du dich nicht benehmen?« Als Tom endlich kam, hielt ich ihm meine Hand hin und sagte: » Lass uns doch reden.«
    Das Insektenorchester in meinen Ohren hatte sich verdoppelt. Aber ich trug Chet Bakers Krawatte um den Hals! Ich hatte Frau Hauenstein gesagt, dass ich ihre neuen Bestellungen wegen der Beerdigung erst am nächsten Tag erledigen könne.
    » Du hast natürlich keine schwarze Krawatte, stimmt’s?«, hatte sie gesagt und wieder einmal angefangen, in Schubladen zu wühlen. Briefe, Schals, Kopftücher, Fotos, Zigarettenasche flogen in hohem Bogen.
    » Hier«, hatte Frau Hauenstein gesagt, » die hat er auf der großen Europatournee 1959 getragen. Sein Vater war kurz vorher gestorben.«
    Weil ich mich mit Krawatten nicht so gut auskannte, hatte Frau Hauenstein mir beim Binden geholfen.
    Auf der Gegenfahrbahn lag eine tote Katze. Aus dem Straßengraben kroch Nebel. Meine Mutter und mein zweiter Vater hatten Ende der Achtzigerjahre ein Haus im deutschsprachigen Ostbelgien gekauft. Viele Deutsche aus dem Grenzland taten das wegen der niedrigeren Kosten. Ich war zweimal zu Versöhnungstreffen in dem gelben Haus mit dem kleinen Garten gewesen. Der Sportplatz, auf dem ich den Treffer meines Lebens erzielt hatte, war nur ein paar hundert Meter entfernt. Beide Male hatte es Streit mit Karl-Heinz II . gegeben, meine Mutter hatte sich dabei immer für ihn und gegen mich entschieden. Und beide Male hatten mich belgische Zöllner auf der Rückfahrt kontrolliert wie einen gesuchten Drogenschmuggler.
    Die Grenze war inzwischen weg, nahtlos schloss sich das propere belgische Neubaugebiet an das deutsche an. Der Weg zum Friedhof war ausgeschildert wie eine Touristenattraktion. Mein zweiter Vater, auch mit achtzig noch Herr der Lage, stand auf dem fast leeren Parkplatz und demonstrierte Tatkraft, vital, energiegeladen, unheilbar gesund. Gegen meinen Willen ließ ich mich von ihm auf einen Platz dirigieren, den er für mich ausgesucht hatte. In meinem Ärger bog ich zu schwungvoll ein, die efeubewachsene Ziegelsteinmauer bremste mich.
    » Quax, der Bruchpilot!«, rief Karl-Heinz II . und schätzte den Schaden geradezu genießerisch auf fünfzehnhundert Euro. Ohne Chet Bakers Krawatte hätte ich das alles nicht ausgehalten.
    Es war beißend kalt. Der Geruch von verbranntem Holz und mein Atem hingen in der Luft. Wind scheuerte meine Nase wund, stach in meine Ohren. Acht Leute waren außer mir und meinem zweiten Vater gekommen. Die meisten Gesichter kamen mir bekannt vor, ich konnte mich aber nur an einen Namen erinnern. Lilo, die beste Freundin meiner Mutter. Mit sechzehn hatte ich oft davon geträumt, mit ihr im Bett zu liegen. Sie roch immer betörend, weil sie in der Parfümerieabteilung vom Kaufhof arbeitete. Ihre Haare waren unverändert hellblond und kurz, aber die Beine hatten ihre Länge verloren, ihre Brüste an Breite gewonnen. Sie drückte mich an sich, da sah ich, dass sie sich einen kräftigen Oberlippenbart zugelegt hatte.
    Für meine Mutter gab es kein Grab, nur ein paar Quadratmeter Gras. Streuwiese stand auf einem Schild. Ein Priester und der Friedhofswärter schritten auf uns zu. Der Priester machte ein leidendes Gesicht, er war anscheinend nicht warm genug angezogen unter seiner Soutane. Der Friedhofswärter trug das Wappen der Gemeinde auf seiner dunkelblauen Uniform und in der linken Hand eine Art Grubenlampe. Darin war wohl die Asche. Die beiden Männer begrüßten meinen zweiten Vater, dann zog der Priester ein paar bedruckte Seiten aus einer Klarsichthülle hervor und fing an, seine Rede vorzulesen. Er nannte meine Mutter Josefine, obwohl sie Gisela hieß. Die ältere Frau rechts neben mir unterdrückte ungeschickt ein Kichern. Wieder sagte der Priester Josefine. Ich schwor mir, ihn beim nächsten Mal auf seinen Fehler hinzuweisen. Da sagte er schon wieder den falschen Namen. Ich hielt den Mund, auch beim Vaterunser.
    Herr Momm, der Inhaber von Radio & Fernsehen Momm, hatte gesagt, dass Gisela ein wunderschöner Name sei. Er habe seine Tochter Gisela nennen wollen, doch leider sei ihm keine Tochter vergönnt gewesen.
    Anfang Dezember 1968 hatten meine Mutter und mein neuer Vater endlich resigniert und eingesehen, dass ich für Technik-Baukästen, Lötkolben, einen Zwölfersatz Schraubenzieher und das beliebte Experimentierlabor namens Der kleine Chemiker ungeeignet war, dass die einzige technische
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