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Susanne Barden - 03 in New York

Susanne Barden - 03 in New York

Titel: Susanne Barden - 03 in New York
Autoren: Helen D. Boylston
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über, dann sieht man die Manschetten nicht.« Anfangs kam es den Mädchen recht sonderbar vor, in Tracht auf der Straße zu gehen und mit der Untergrundbahn zu fahren. Sie bewegten sich schüchtern und steif, bis sie entdeckten, daß kein Mensch sie beachtete.
    Das Verwaltungs- und Ausbildungsbüro der Henry-Street-Stiftung befand sich in der Park Avenue. Den Mädchen war schriftlich mitgeteilt worden, daß dort ein einführender Vortrag gehalten werden würde. Sie schlossen daraus, daß sie nicht die einzigen Schwestern sein würden, die an diesem Tag ihren Dienst antraten. Und so war es auch. Ungefähr dreißig Mädchen - die meisten von ihnen jung und, wie aus ihrer Unterhaltung zu entnehmen war, Lernschwestern in verschiedenen New Yorker Krankenhäusern - versammelten sich in einem Saal. Alle trugen die gleiche Tracht, und die ausgebildeten Schwestern unterschieden sich von den Lernschwestern nur durch größere Sicherheit im Auftreten.
    Susy und Kit setzten sich in eine der hinteren Stuhlreihen. Als die Lehrerin eintrat, wurde es still im Saal. Die ausgebildeten Schwestern beugten sich erwartungsvoll und interessiert vor; die Lernschwestern sanken mit ergebenem Ausdruck in sich zusammen.
    >Nun werde ich gleich erfahren, wie die Henry-Street-Stiftung beschaffen ist<, dachte Susy bei sich, denn sie wußte aus Erfahrung, daß der Geist einer Organisation von den leitenden Persönlichkeiten geprägt wird.
    Die Sprecherin stellte sich als Fräulein Firrell, Leiterin der Ausbildungsabteilung vor. Sie war noch ziemlich jung und hatte ein fein geschnittenes intelligentes Gesicht. Ihre Redeweise war natürlich und zwanglos. Sie sprach nicht wie ein erfahrener Mensch zu unerfahrener Jugend, sondern wie eine Frau zu Freundinnen. Zuerst erzählte sie die immer wieder erregende Geschichte der Stiftung.
    Vor vielen Jahren war Lillian Wald, eine junge Krankenschwester, in die Slums von New York geschickt worden, um eine Gruppe von jungen Müttern über Kinderpflege zu unterrichten. Eine der Mütter fehlte. Mitten in Lillian Walds Vortrag stürzte ein schreiendes Kind ins Zimmer. Die Mutter sei krank, stieß es schluchzend hervor, und die Schwester möge doch nur ja gleich kommen.
    Lillian Wald folgte dem Kind in ein verwahrlostes Wohnhaus, stieg über stinkende Abfallhaufen in düsteren Gängen und fand die Mutter auf einem Lager aus alten Lumpen in einem kahlen, entsetzlich schmutzigen Zimmer vor. Sie tat, was sie konnte, um ihre Lage ein wenig zu erleichtern. Viel konnte sie im Augenblick nicht helfen, aber das Entsetzen über die furchtbaren Lebensbedingungen in den Slums entfachte grimmige Entschlossenheit in ihr. Sie nahm sich fest vor, diese Lebensbedingungen zu verbessern, notfalls ohne jede Hilfe.
    Damals war sie noch jung und unbekannt, eine Krankenschwester unter vielen anderen. Sie hatte kein Geld und kaum einen Plan. Sie wußte nur eins: Wenn sie die Verhältnisse der Armen ändern wollte, so mußte sie die Slums genau kennenlernen und selber dort wohnen, als Nachbarin und Freundin der Elenden und Verzweifelten.
    Jedermann kennt die Fortsetzung der Geschichte. Lillian Wald mietete zusammen mit einer ebenso jungen und ebenso unerfahrenen Freundin ein Haus in der Henry Street, mitten im Herzen des verkommensten Bezirks. Dort lebten die beiden Mädchen, pflegten Kranke und gingen zu jeder Stunde des Tages und der Nacht in die Häuser der Armen, um ihnen zu helfen.
    Bei ihrer Arbeit fiel es ihnen auf, wieviel ungenutzte Gaben in den armen Menschen um sie her schlummerten. Sie öffneten ihnen ihr Haus, um sie aufzuklären und zu unterrichten. Mit unendlicher Geduld sammelten sie Material über das soziale Unrecht, das sie mit ansehen mußten. Dann wandten sie sich mit hinreißendem jugendlichen Schwung an reiche Leute, gleichgültig, ob sie freundlich oder unfreundlich empfangen wurden, und verlangten im Namen der Menschlichkeit, im Namen der sozialen Gerechtigkeit Hilfe für die Ärmsten der Armen. Sie kämpften gegen Kinderarbeit, gegen hartherzige Hausbesitzer und verantwortungslose Politiker. Sie erkämpften eine bessere Unterbringung der Familien, Spielplätze für die Kinder und gute Schulen, bis nach und nach die jahrhundertealten Schrecken der Slums zu verschwinden begannen. Das war der Anfang der Wohnungsfürsorge. Bald danach wurde der Schwesterndienst gegründet.
    Fräulein Firrell machte eine Pause. Ihre Zuhörerinnen kannten die Geschichte von Lillian Wald gut genug, hatten aber dennoch mit höher
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