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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story
Autoren: Gary Shteyngart
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gab die Natur einfach nicht nach.»
    Und wie ein Idiot empfand ich plötzlich Mitleid mit ihm. Als die Klienten zu sterben begannen, als bei vielen der Tremor einsetzte und die Organe versagten, hatte der Vorstand von Staatling-Wapachung ihn gefeuert. Howard Shu übernahm die Posthumanen Dienstleistungen und machte daraus, was er schon immer vor Augen hatte: eine riesige Lifestyle-Boutique, die Wellness-Behandlungen und Lippenvergrößerungen anbot. Eunice trennte sich von Joshie, noch ehe der Abstieg begann. Ich weiß nicht viel über den jungen Mann, dessentwegen sie ihm den Rücken kehrte, doch die Informationen, die mir vorliegen, deuten auf einenMenschen mit sehr anständigem Gemüt und gezügeltem Ehrgeiz, einen Schotten. Zeitweise ließen sie sich, wie ich weiß, vor den Toren Aberdeens nieder, einer Stadt im nördlichen Bereich von HSB C-London . Ihre Beziehung war das einzige Ergebnis des einen Semesters, das sie am Londoner Goldsmiths College zugebracht hatte, um auf Joshies Drängen hin Kunst und Finanzwesen zu studieren.
    Nachdem Joshie seinen lallenden Vortrag beendet hatte, eilte ich aus dem Saal. Ich wollte ihn nicht fragen, wie es sich anfühlte, wenn man um seinen bevorstehenden Tod wusste. Selbst zu diesem späten Zeitpunkt, selbst nach seinem Verrat verhinderte der Gründungsmythos, der uns beide verband, diese Frage.
    4.
    Letzten Winter besuchte ich meine römischen Freunde Giovanna und Paolo in ihrem Landhaus, einer ehemaligen Natursteinscheune aus dem 14.   Jahrhundert in der Nähe von Orvieto. Ich verbrachte den ersten Abend unter den breiten Deckenbalken ihres umgestalteten Wohnzimmers, trank den mir zugeteilten Sagrantino di Montefalco, bewunderte die jüngst eingebauten Alkoven und Holzregale, die in ihrer grob bearbeiteten Einfachheit gut zum Alter der Scheune passten, und betrachtete mit gütigem Blick meine hübschen jüngeren Freunde und ihren aus Russland adoptierten und bereits sowohl in Mandarin als auch in Kantonesisch versierten prachtvollen Fünfjährigen, dessen dünne blonde Strähnen die so andere, dunkle Physiognomie seiner Eltern umso mehr betonten. Holzrauch schwebte durchs Zimmer, hüllte uns in wohlriechendes Glühen. Trotz desWeinkonsums unterhielten wir uns ruhig über den Klimawandel und das Ende menschlichen Lebens auf der Erde. Die beiden Italiener beschrieben unsere Rolle auf dem Planeten als die von lästigen Bremsen und das sich selbst regulierende Ökosystem als eine Art gigantische Fliegenklatsche. Ich konnte nicht begreifen, wie meine Freunde sich als Eltern die Auslöschung der Lebenswelt ihres Sohnes auch nur ansatzweise vorstellen konnten, und weil sie womöglich spürten, dass mich das Thema deprimierte, und sehr wohl wussten, dass ich selbst wahrscheinlich nur noch ein oder zwei Jahrzehnte zu leben hatte, standen die Dame und der Herr des Hauses rasch auf, um einer kranken preisgekrönten Ziege ein Antibiotikum zu spritzen.
    Im Laufe des Abends trafen weitere Besucher ein, zwei junge Schauspielerinnen, die frisch aus Rom eingereist waren. Sie hatten keine Ahnung, wer ich war, doch bald schon erfuhren wir, dass eine der beiden glamourösen Erscheinungen gerade das Angebot erhalten hatte, in einem neuen, auf meinen Tagebüchern basierenden Cinecittà-Videospray Eunice Park zu spielen. Die Schreiberlinge der Hengdian World Studios in Zhejiang hatten mit ihrer
Lenny ♥ Euny Super Sad True Love
-Serie bereits eine künstlerische Katastrophe angerichtet, und jetzt wollten sich auch die Italiener daran versuchen.
    «Ich muss mit meinem Gesicht
so was
machen!», sagte die Schauspielerin, die Eunice spielte, zog ihre Augen zu Schlitzen und schob die Schneidezähne vor. Dann stürzte sie sich in eine einigermaßen akkurate Darbietung eines verwöhnten kalifornischen Mädchens aus der Zeit vor dem Bruch, während ihre Freundin sogleich den glücklosen Abramov gab. «Mein Thunfischhirn! Meine Dumpfbacke! Mein Nerd!», deklamierte die Erste, sobald die Zweite in Abramovs Rolle sich flach auf den Boden warf und hysterischheulte. Das veranlasste den fünfjährigen Sohn meiner Freunde, um sie herumzuspringen und die lustigen englischen Worte nachzuäffen.
    Meine Freunde lächelten mich verhalten an und versuchten, den Schauspielerinnen Zeichen zu geben, damit sie ihre Vorstellung beendeten. Doch ich wollte mir nichts anmerken lassen. Ich verzog den Mund zu meiner Version von Eunice’ starrem Lächeln und ließ das Lachen aus mir hervorplätschern wie die ersten
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