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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story
Autoren: Gary Shteyngart
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bemerkte, dass keiner unserer Klienten oder Vorstandsmitglieder Äppäräte am Körper trug, nur die Bediensteten und Medienleute. Howard Shu hatte es mir mehr als einmal erklärt: Die wirklich Mächtigen brauchen keine Rankings. Umso mehr wurde mir der glänzende, murmelnde Kiesel an meinem Hals bewusst. Ich ging an ein paar Medientypen in den Zwanzigern vorbei, die einander streamten, und schnappte kleine Textfetzen auf, die mich deprimierten. «Wusstest du, dass November Fahrradwoche ist?» – «Mit ihr ist alles bestens, nur dass sie total verkorkst ist.» – «Wenn es 12
p.m.
heißt, bedeutet das dann Mittag oder Mitternacht?»
    Neben einem Häufchen StatoilHydro-Direktoren, robusten, in die Länge gezogenen Norwegern und ebenso großen Indern aus oberen Kasten, sah ich Eunice und ihre Schwester Sally mit Joshie sprechen. Als ich auf die drei zuging, kam ich an einem Kunstwerk vorbei, das einen Toten auf einem Familiensofa in Omaha zeigte, einen Typen in meinem Alter mit indianischen Vorfahren offenbar, dessen Gesicht irgendwie vom Schädel wegkroch und dessen Augenauf gespenstische Weise zum Schweigen gebracht waren, als hätte man sie gerade ausgekratzt («Interessante narrative Strategie», sagte irgendjemand). Das Bild war auch nicht entsetzlicher als die anderen, der Mann war ja zum Glück schon
tot
, doch aus irgendeinem Grund wurde ich bei seinem Anblick unruhig, meine Zunge trocknete aus und klebte schmerzhaft am Gaumen. Ich tat, was alle irgendwann taten: schaute weg.
    Ich möchte etwas über ihre Kleidung sagen. Das scheint mir wichtig. Joshie trug ein Sportjackett aus Kaschmir, eine Wollkrawatte und ein Oberhemd aus Baumwolle, alles von JuicyPussy4Men – eine etwas gediegenere Ausführung der Kleidungsstücke, die Eunice für mich ausgewählt hatte. Sie trug ein französisch blaues Bouclé-Kostüm von Chanel mit einer Zuchtperlenbrosche und kniehohen Lederstiefeln, sodass sie bis auf das winzige Leuchten ihrer spitzen Kniescheiben völlig bedeckt war. Sie sah nicht so sehr wie eine Frau aus, sondern eher wie ein Geschenk. Auch Sally war in ihrem Nadelstreifenkostüm mit dem kleinen Glanzpunkt eines goldenen Kreuzes um den weich gepolsterten Nacken etwas overdressed. Ich bemerkte die ersten Anzeichen zweier hart erkämpfter Lachfalten und am Kinn ein beherrschendes, entwaffnendes Grübchen. Als ich näher kam, hörten beide Schwestern auf, mit Joshie zu reden, und hielten sich die Hand vor den Mund. Und da wurde mir ganz ohne Zusammenhang klar, was mich an dem Bild des Toten auf dem Sofa in Omaha so verstört hatte. In einer Ecke des Bildes, hinter verstreuten jugendlichen Besitztümern, mehrheitlich Saiteninstrumenten und uralten Laptops, lag eine aus nächster Nähe erschossene Deutsche Schäferhündin, ein Blitzstrahl Blut ergoss sich über den gewellten Wohnzimmerboden. Ein wenige Wochen, vielleicht nur Tage alter Welpe hatte die Vorderpfoten auf denungeschützt daliegenden Bauch des Tieres gestellt, rechts und links von den immer noch angeschwollenen Zitzen. Man konnte das Gesicht des Welpen nicht sehen, doch einem entging nicht, dass er die Ohren gespitzt und den Schwanz eingezogen hatte, aus Angst oder Trauer. Warum nahm mich ausgerechnet das so mit?
    Eine Sekunde setzte mein Bewusstsein aus, ich schnappte Schnipsel von dem auf, was Joshie sagte. «Ich habe ihn über die Skaterszene kennengelernt   …» – «Ich stamme aus einer anderen Budget-Kultur   …» – «Wenn man mal drüber nachdenkt, ist das kapitalistische System eigentlich nirgendwo tiefer verwurzelt als in Amerika   …»
    Und dann hatte er den Arm um mich gelegt, und wir entfernten uns von den beiden Mädchen. Ich erinnere mich nicht mehr an unsere unmittelbare Umgebung, während er mir seinen Vortrag hielt. Wir waren in einem Negativraum verloren, klammern konnte ich mich nur noch an seine Nähe. Er sprach von den siebzig Jahren, in denen er keine Liebe erfahren hatte. Wie ungerecht das gewesen sei. Wie viel Liebe er zu geben habe; auch ich hätte ja in gewisser Weise etwas davon empfangen. Aber jetzt brauche er etwas anderes: Intimität, Nähe, Jugend. Kaum sei Eunice zum ersten Mal in seine Wohnung getreten, habe er es
gewusst
. Er griff nach meinem Äppärät und zeigte mir eine Studie darüber, wie Beziehungen zwischen zwei Menschen, die vom Alter her weit auseinanderliegen, die Lebensspanne von beiden verlängern können. Er sprach von praktischen Dingen, sprach von meinen Eltern in Westbury. Er könnte sie in eine
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