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Super Sad True Love Story

Super Sad True Love Story

Titel: Super Sad True Love Story
Autoren: Gary Shteyngart
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sicherere Gegend an der Peripherie bringen lassen, Astoria in Queens zum Beispiel. Er sprach davon, dass wir eine Weile getrennte Wege gehen sollten, dass wir drei uns aber irgendwann vielleicht wieder versöhnen würden. «Wir könnten wie eine Familie sein», sagte er, aberbeim Wort Familie konnte ich nur an meinen Vater denken, meinen
richtigen
Vater, den Hausmeister aus Long Island mit dem undurchdringlichen Akzent und dem lebensechten Geruch. Meine Gedanken schweiften von dem ab, was Joshie sagte, und ich grübelte über die Demütigung meines Vaters nach. Die Demütigung, dass er als Jude in der Sowjetunion aufgewachsen war, in den Vereinigten Staaten vollgepinkelte Toiletten putzen musste, dass er ein Land verehrte, das ebenso simpel und plump zusammenbrach wie jenes, das er verlassen hatte.
    Ich wusste nicht mehr, wo ich war, bis Joshie mich zu Eunice und Sally zurückbrachte, die Händchen haltend ins blaue Tor des Oberlichts hinaufstarrten, als erwarteten sie Erlösung. «Vielleicht solltest du jetzt einen Moment mit Lenny allein sein», sagte er zu Eunice. Aber sie ließ ihre Schwester nicht los, und sie wollte mir nicht in die Augen sehen. Schweigend standen sie beisammen, die kleinen Brüste vorgereckt, der Blick still und leer, und vor sich den scheinbar endlosen Fortgang ihres Lebens, der sich in die drei Dimensionen der Triplex-Wohnung ausdehnte.
    Worte brachen aus mir hervor. Dumme Worte. Die schlimmsten Schlussworte, die mir einfallen konnten, aber immerhin Worte. «Dumme Gans», sagte ich zu Eunice. «Du hättest nicht so ein warmes Kostüm anziehen sollen. Es ist doch noch Herbst. Ist dir nicht warm? Ist dir nicht warm, Eunice?»
    Geschrei in hohen Tonlagen drang aus dem Vestibül, nicht weit von der Stelle, wo wir standen, und Howard Shu sprintete voran wie ein herrlicher Windhund, schrie vielen Leuten Dinge zu.
    Die chinesische Delegation war eingetroffen. Zwei riesenhafte Banner schwebten in der Luft, von einer unsichtbaren Kraft gehalten, und die Anfangstakte von Alphavilles«Forever Young»
(«Let’s dance in style, let’s dance for a while»)
dröhnten im Hintergrund.
     
    Willkommen in Amerika 2.0:
    Eine GLOBALE Partnerschaft
     
    DAS
ist New York: Lifestyle-Center, Vorzeigestadt
     
    Mehrmals knallte es laut in der Luft, ich musste an die Leuchtspurgeschosse während des Bruchs denken. Feuerwerkskörper wurden im Zentrum des Souk-artigen Raumes und vom gewaltigen Oberlicht aus gezündet. Als die erste Salve losging, sah ich Sally zusammenzucken und schützend den Arm heben. Dann drängte alles nach vorn, um die Chinesen zu sehen. Ich ließ die Körper an mir vorüberfluten, die jungen Achtzigjährigen in ironischen John-Deere- T-Shirts mit Truckermützen, welche die Massen neuer seidiger Haare kaum bändigen konnten. Getrennt von den Menschen, die ich liebte, und aus dem Glashaus vertrieben, fand ich mich in der winterkalten Luft wieder, neben einer Phalanx aus Limousinen mit den Insignien der Kapitalistischen Volkspartei, vor einer Häuserzeile mit Triplex-Wohnungen, die über den East River und den FDR Drive hinauskragten. Früher hatten hier Sozialbauten gestanden, an einer Straße namens Avenue D.   Medienleute rannten an mir vorbei, als würde es irgendwo brennen, als stünden hohe Gebäude in Flammen. Ich schaute Richtung Süden. Ich hätte an Eunice denken, um Eunice trauern sollen, aber das war in dem Augenblick nicht der Fall.
    Ich wollte nach Hause. Ich wollte zurück in die 70   Quadratmeter, die einmal mir gehört hatten. Ich wollte nach Hause in die Stadt, die einmal New York gewesen war. Ich wollte die Gegenwart des mächtigen Hudson und des zornigen,belagerten East River spüren und auch der großen Bucht, die sich vom Pedimentsockel der Wall Street aus erstreckt und uns zu einem Teil der Welt dahinter macht.
    Ich kehrte in unsere Zimmer im Schwesternheim zurück. Ich setzte mich auf das harte Bett, krallte mich in die Tagesdecke und drückte dann mein Kissen gegen meinen ebenso weichen Bauch. Aus irgendeinem Grund lief die zentrale Klimaanlage noch. Es war eiskalt im Zimmer. Kalter Schweiß rann an meinem Kinn herunter, meine Bücher fühlten sich kühl an. Die Feuchtigkeit verwirrte mich, und ich fasste mir an die Augen, um sicherzugehen, dass ich nicht weinte. Ich dachte an die Feuerwerkskörper, hörte wieder ihren harschen, unnötigen Krach. Ich sah vor mir, wie Sally den Arm hob, um sich vor dem Phantomhieb zu schützen, der sie gleich treffen würde. Ihr Blick war
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