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Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman

Titel: Süßes Gift und bittere Orangen: Historischer Kriminalroman
Autoren: Eve Rudschies
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Hühner auf katalanische Art

    In Boccaccios Dekameron kann die reiche Florentinerin nie genug bekommen. »Wo immer sie schöne Kapaune auftrieb, ließ sie diese sorgfältig mästen und für sich bereiten. Die breiten Bandnudeln mit Parmesan aß sie nicht vom Teller, sondern gleich aus der Schüssel und schlang alles so gierig in sich hinein, als sei sie nach langem Fasten aus dem Hungerturm entkommen. Junge Milchkälbchen, Rebhühner, Fasane, Turteltauben, fette Krammetsvögel, lombardische Suppen, Eierkuchen mit Holundersauce, Kastanienkuchen verschwanden in ihrem Magen … «
    Damit entsprach die Dame bestimmt nicht dem Schönheitsideal ihrer Zeit, dem Mittelalter, welches schlanke, langhalsige Madonnengestalten bevorzugte. Wohl eher kam sie dem Ideal der Renaissance entgegen, die sich an entblößten weiblichen Kurven nach antiker Art labte. Diese Revolution in der Erotik (selbstverständlich aus Italien!) fand auch auf dem Teller statt. Italien erfand die Renaissance auch in der Küche, sozusagen eine erste ›nouvelle cuisine‹. Wie im Frankreich von Paul Bocuse begann alles mit einem der ersten Bestseller des damals brandneuen Buchdrucks. Der Patriarch von Aquileia, unweit von Venedig, hatte einen außergewöhnlichen Leibkoch, einen gewissen Maestro Martino da Como. Das war nicht verwunderlich, denn bei (katholischen) Kirchenfürsten wurde fürstlich gespeist. Doch Maestro Martino wusste anscheinend um seinen Wert. Er wollte nicht in Vergessenheit geraten, was sonst das Schicksal jedes noch so guten Kochs sein musste. In einem ziemlich schlechten, aber geradlinigen Küchenlatein schrieb er das ›libro de arte coquinaria‹, das Buch der Kochkunst. Sein Latein war dennoch gut genug, um den ersten Leiter der päpstlichen Bibliothek, den Humanisten und Literaten Bartolomeo Platina (geb. 1421 in Piadena bei Cremona, gest. 1481 in Rom), darauf aufmerksam zu machen. Wahrscheinlich kannte Platina Maestro Martino sogar persönlich und sicherlich die hervorragende Tafel des Bischofs von Aquileia. Platina übertrug im Jahr 1474 das Buch des Meisterkochs in ein klassisch-literarisches Latein, fügte ihm noch einige Kapitel über Essensphilosophie und die rechte Lebensweise hinzu und verpasste ihm den schicken Titel ›De honesta voluptate ac valetudine‹ (Von der Eehrlichen, zimlichen, auch erlaubten Wollust des leibs). So ausgestattet wurde das Buch ein immenser Erfolg: in knapp 100 Jahren über 30 Auflagen, unzählige Übersetzungen ins Französische, Englische und Deutsche. Der in Italien und seine Kochkunst vernarrte bayerische Herzog Ludwig X. besaß mit Sicherheit dieses Buch, das wiederum bestimmt seinem Küchenmeister und seinem Mundkoch zur Verfügung stand.
    Bartolomeo Platina und Maestro Martino nehmen beherzt Abschied vom Mittelalter, in dem ausschließlich als gut galt, was teuer und exklusiv war, d.h. Unmengen an Gewürzen oder Prestigeobjekte. Das waren z.B. zähe Adler oder uralte Bärengroßväter, stundenlang vorgekocht, dann gebraten und mit dicker Pfeffersoße überzogen – das Einzige, was sie noch genießbar machen konnte. Damit wollte Martino Schluss machen. Die reichlich vorhandenen und schmackhaften Lebensmittel sollten auf möglichst natürliche Art zubereitet werden: durch sanftes Kochen oder Braten, durch gezielt sparsames Würzen, damit der Eigengeschmack erhalten blieb. Auf diese Weise wurde die Zubereitung von vielen Fleisch- und Gemüsegerichten deutlich kürzer und einfacher. So empfiehlt der päpstliche Bibliothekar, Fisch, gerade die edlen Sorten wie Lachs und Forelle, am besten im Ganzen in ausreichend großen Gefäßen zu kochen, nicht in armselige Stücke zerkleinert.
    Platina interessierte sich nicht nur für modische Gemüse- und Pastagerichte, wie Italien sie schon kreiert und verfeinert hatte. Das Studium antiker Kochbücher wie das des Apicius, die fleißige Mönche über viele Generationen kopiert hatten, öffnete neue Horizonte. Vor allem der Handel mit den Arabern erwies sich als außerordentlich fruchtbar. Es kamen Neuheiten wie Anis, Datteln, Granatäpfel und Bitterorangen, oder Altbekanntes wie Zucker und Reis, die nun dank eines wachsenden Reichtums immer häufiger verwendet wurden. Auf Verlangen ihrer Herren, die in Damaskus, Alexandria oder in Spanien und Sizilien morgenländische Gastfreundschaft genossen hatten, begannen die Köche, die Methoden der arabischen Küche nachzuahmen. Dieser orientalische Einfluss ist bei dem Italiener Maestro Martino unverkennbar.
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