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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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Bilder von Paula stammten von der Überwachungskamera vor der Garage. Sie zeigten einen Teenager in dunkler Daunenjacke mit
Kapuze, dem für Mai ungewöhnlich nasskalten Wetter dieser Nacht angemessen. Über ihrer Schulter hing eine kleine Reisetasche, die für wenige Tage gepackt schien, doch wurde
Paula nun bereits seit Wochen vermisst. Die Eltern hatten schon am Morgen nach ihrem Weggang die Polizei gerufen, die Ermittlerin hatte diese aufgezeichneten Bilder wieder und wieder angeschaut,
sie vor- und zurückgespult, angehalten. Ihr schien es, als wenn das Mädchen zum Abschied gar gewinkt hätte, das war allerdings nicht klar zu erkennen. Möglich war auch, dass sie
bloß eine Strähne aus ihrem Gesicht wischen wollte.
    Ein Porträt von ihr zeigte eine junge Frau mit orangefarbenen Haaren und blauen Augen, etwas blasiertem Blick und dickem Kajalstrich auf dem oberen Lid. Sie musste in letzter Zeit wohl
zugenommen haben, oder die Aufzeichnung hatte ihr Gesicht verzerrt und runder wirken lassen.
    Die Familie lebte am Körnerweg direkt an der Elbe, das Haus war am Hang gebaut, das blaue Wunder linker Hand, die prächtige Stadt rechts.
    Wer könnte schöner leben, fragte sich die Polizistin, weshalb läuft so eine fort? Die Eltern wirkten auf sie eher wie ihre Großeltern, er war Professor an der Technischen
Universität Dresden, an seiner Seite hatte er eine schmale, gepflegte Frau. Viel Geld steckte im Haus: dreistöckiger Bau, allerhand großflächige Glasfronten. Paulas Zimmer
hatte eine eigene Dachterrasse, sie verfügte über einen Flachbildschirm, eine teure Musikanlage, ein Himmelbett.
    An jenem Abend waren alle drei zeitig schlafen gegangen. Paula hatte sich nicht anders verhalten als üblich, versicherte der Vater. Sie musste kurz vorher noch in der Küche gewesen
sein, man fand ein benutztes Glas mit Orangensaftresten, sie hatte scheinbar in eine kalte Entenkeule gebissen und den Knochen anschließend auf den Marmorboden geworfen. Der Kühlschrank
stand offen.
    »Wieso tut Ihre Tochter so was?«
    Die Mutter schüttelte ratlos den Kopf: »Wie kann sie uns das antun?« Es klang beinahe empört statt besorgt.
    »Sollte das eine Provokation werden? Der offene Kühlschrank?«, fragte die Polizistin. »Und das Essen auf dem Boden?«
    »Paula hat öfter mal was fallen lassen«, erklärte der verzweifelte Vater.
    Die Beamtin runzelte die Stirn: »Erklären Sie mir das genauer, bitte.«
    »Nun«, er hob erschöpft seine dünnen Arme, »eine Jacke im Flur, ein Äpfelbutze, ein Radiergummi, so was eben.«
    »Ein Äpfel-was?«
    »Butze.«
    »Meinen Sie ein Äppelgriebs?«
    »Ja, Herrschaften!«, rutschte es ihm zu laut heraus. »Sind die Synonyme vom Kerngehäuse eines Apfels denn im Moment von Belang?«
    Die Ermittlerin schüttelte den Kopf: »Verzeihung, ich habe bloß das Wort nicht gekannt. Hat Ihre Tochter was am Arm, eine Verletzung vielleicht? Dass ihr Gegenstände aus
der Hand fallen?« Die Mutter starrte vor sich hin, richtete sich nun auf, wischte mit der Handfläche über den Tisch, auf dem kein einziger Krümel war, und schwieg. Der Vater
schüttelte den Kopf: »Dann hätten wir Sie das unmittelbar wissen lassen. Es geht nicht um den Kühlschrank oder um Essen auf dem Boden, wir ersehnen einfach unser Mädchen
zurück.«
    Die Anwesenheit dieser Frau war ihm geradezu körperlich unangenehm. Jünger als seine Gattin, aber viel älter aussehend, fülliger Körperbau, billige Jeans, rotes
Sweatshirt und dunkelgraue grob gestrickte Jacke mit hässlichen Wollknubbeln dran, alberne Buttons von irgendwas am Revers, Beatles oder so. Bis auf etwas Wimperntusche unternahm sie scheinbar
keinerlei Versuche, sich attraktiver zu machen. Solchen Menschen kam er allenfalls bei Aldi an der Kasse nah. Dabei hatten sie sich von der Polizei so viel erhofft.
    »Sind Lebensmittel auf dem Fußboden und ein offener Kühlschrank nicht ein Hinweis, eine Art Protest?«, setzte die Ermittlerin erneut an.
    Die Stimme des Vaters klang nun bereits aggressiv: »Unsere Tochter ist verschwunden. Vielleicht ist sie in Lebensgefahr, so tun Sie endlich was, statt hier herumzureden!«
    Die Polizistin fuhr sich mit der Hand über die Lippen. »Machen Sie sich bitte keine zu großen Sorgen«, sagte sie schließlich einlenkend. »Viele Jugendliche in
Paulas Alter laufen fort und kommen über kurz oder lang zurück.«
    Doch die Eltern ließen sich keineswegs beruhigen. Paula sei nicht mit Mädchen ihres Alters zu vergleichen, nicht so
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