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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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Mann zu achten, sondern bloß auf den
Zustand.
    Einige Zeit zuvor war eine Gruppe gut aussehender Wissenschaftler ausgerechnet hierher gekommen, um die eigentümliche Neigung der Landschaft genauer zu untersuchen. Normalerweise, so
erklärten sie den Bewohnern bei einer Versammlung, komme solch eine Schüsselform geologisch nur an der Küste vor oder bei Seen, aber hier habe man eine riesige Delle identifiziert,
die in der Geologenfachsprache »Depression« genannt werde.
    »Allen Ernstes?«, fragte Opa. »Wir liegen in einer Delle, die leidet?«
    »Ich hab schon immer gewusst«, merkte Nette trocken an, »dass was nicht in Ordnung ist mit der Stimmung hier.«
    Darüber lachte ein blonder Geologe besonders fröhlich und mietete sich kurz darauf bei ihnen ein. In beinahe jedem Haushalt des Ortes wurde ein Wissenschaftler untergebracht, weil hier
kein Gasthaus existierte und das einzig in Frage kommende Hotel in der Stadt lag. Kost und Logis waren für die Einheimischen ein gutes Geschäft, die eigenen Kinder wurden dafür aus
ihren Zimmern vertrieben und in die Heuböden gelegt, die Wissenschaftler schliefen in zu kurzen Betten, wurden dafür aber von den Dörflern mit gutem Essen verwöhnt und nahmen im
Laufe der Wochen ordentlich zu.
    Nette überließ ihrem Geologen ihr eigenes Zimmer. Vorher brachte sie es fertig, innerhalb von nur einem Tag alles sauber zu putzen und aufzuräumen, was vorher für Wochen, ja
Monate herumgelegen hatte, vergammelte oder verstaubte. Sie möbelte nicht nur die Einrichtung, sondern auch sich selbst auf, hatte mit einem Mal frisch frisierte Haare, eine gebügelte
Bluse und sogar einen Rock mit Blumenmuster – kein Mensch wusste, wo sie den so schnell aufgetrieben hatte.
    »War das nicht mal die Küchengardine?«, feixte ihr Vater.
    Zaghaft klärte Nette ihren Geologen auf: »Bedingung bei uns ist, dass Sie grüne Bohnen essen. Die gibt es bei uns beinahe täglich.«
    »Beinahe?«
    »Stangenbohnen ohne Faden.«
    »Großartig«, grinste er.
    Opa musterte seine Tochter belustigt und führte sie prompt vor: »Du hast ja sogar neue Schuhe.«
    Nettes stahlharter Blick verriet, dass sie ihm etwas antun würde, wenn er weiterspräche.
    Die Zeit mit dem Fremden ging als »die guten Geologenwochen« in die Familiengeschichte ein. Nette flüsterte vor sich hin und sang, hatte endlich mal das Gegenteil von einer
Delle in ihrem Herzen, rasierte sich bald am ganzen Körper, puderte jede Falte und studierte schwer verständliche Berichte über Geomorphologie. Wenn sie wollte, konnte sie sehr nett
sein, sie musste nur können wollen.
    »Wie kommt es, dass ihr so viele Bohnen habt?«, fragte er beim Abendessen, als ihn das Gemüse nach zehn Tagen dann doch verdutzte. Annie und Opa zogen den Kopf ein und
schwiegen.
    Nette dagegen goss sich einen Schnaps ein, ihr Bericht würde sie sonst zu heftig treffen. Es hatte so einige Desaster in ihrer Karriere gegeben, aber die Bohnengeschichte
beeinträchtigte den Speiseplan der Familie nachhaltig: »Vor zwei Jahren habe ich einem Händler aus Frankfurt die halbe Kirschernte verkauft, er hatte mir einen guten Preis geboten,
allein das hätte mich misstrauisch machen müssen. Er holte die Früchte selbst ab und versprach, prompt zu zahlen, das tat er aber nicht. Zwei Wochen später bin ich hin, wollte
schauen, was zu machen war, irgendwas zum Tausch ergattern. Der Kerl hat sogar tatsächlich mit sich reden lassen, er stand selbst kurz vor der Pleite und hat mir das Letzte mitgegeben, was er
noch hatte, bevor die Gläubiger kamen.«
    Der Geologe ahnte es: »Bohnen.«
    »Einen ganzen Lastwagen voll Büchsen, ein Drittel süße weiße Pfirsiche waren auch dabei, schmecken klasse, der Rest ist Gemüse«, klärte Annie ihn
auf.
    Ihre Mutter atmete tief durch, damit die alte Frustration sie nicht wieder übermannte: »Ich hab gedacht, ich kann die Ware irgendwo verkaufen. Das Problem aber ist, die Dosen haben
keine Etiketten. Also kein Haltbarkeitsdatum, und man weiß nie, was wirklich drin ist. Du kannst sie wiegen, schütteln und daran horchen, du kannst sie auspendeln oder beten und bekommst
es nicht raus. Obst und Gemüse klingen exakt gleich, es ist zum Verzweifeln. Wer eine Büchse öffnet und Glück hat, erwischt weiße Pfirsiche, ansonsten muss er Bohnen
essen. Was offen ist, wird natürlich verzehrt.«
    Der Geologe verstand: »Wir hatten bisher kein Glück.«
    »Meinst du, man kann sie röntgen oder anders untersuchen?«
    Er verneinte: »Zu
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