Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
Vom Netzwerk:
Windbefruchtern, diese Art der Fortpflanzung sei auch bei ihnen daheim
üblich, ihre Tochter sei darum ohne leiblichen Vater gezeugt.
    Annie stellte ihre Mutter zur Rede: »Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, mein Vater sei der Wind gewesen?«
    Nette schnäuzte sich, augenscheinlich tröstete sie dieser Unsinn, sie blieb dabei: »Es gibt eine Menge solcher Leute, die Jungfrau Maria kennt jeder, über andere wird
seltener geredet. Wird Zeit, dass du davon erfährst.«
    »Meine Mutter ist eine Jungfrau!«, johlte Annie spöttisch. Sie wollte sicher nicht erfahren, auf welche Weise ein männlicher Same an der Blüte ihrer Mutter hängen
geblieben war, zumindest redete sie sich heftig ein, dass sie es nicht wissen wollte. Sie war irgendwann auf natürliche Art entstanden, das war ja mal sicher. Aber ein richtiger Vater war doch
ein Mann, der anwesend war. Bei uns daheim ist keine starke Schulter außer Opa, an die ich mich lehnen kann, sagte sie sich. Da schenkt mir auch keiner was, also habe ich keinen Vater. Aber
eine normale Besamung wird es doch gegeben haben.
    »Wer ist es gewesen? Wo ist es passiert?«
    »Schluss mit dem Thema«, wünschte sich Nette.
    Annie zeigte ihr den Vogel: »Ja, hör mir auf, Windbefruchter!«
    Wegen ihrer Arbeit im Sommer und den faulen Wintern auf der Couch war Annie ständig offline, nur ihr Opa besaß einen Computer, den sie nicht benutzen durfte. Auch
ein Handy hatte sie nicht.
    »du bis steinzeit«, hatte Fritzi zu ihr gesagt. Vor allem Annies Klamotten waren der Gleichaltrigen ein Gräuel: »style ne haste wie in bukarest aufm fischmarkt die
verkäufer ne.«
    »Wir haben kein Geld.«
    »musste abziehn, idi.«
    Was Fritzi »abgezogen«, sprich geklaut hatte, trug sie am Leib, seit der Woche zuvor zum Beispiel eine eng anliegende weiße Hose mit Reißverschluss an der Seite, ein lila
Top, das oben spät begann und unter der Brust früh endete, dazu einen silberfarbenen Gürtel mit riesiger Schnalle, Sonnenbrille mit Strasssteinen, starkes Make-up mit Rouge von den
Augen bis zum Hals und unten wieder silberfarbene Pumps. Annies Opa behauptete gemein, Fritzi zeige ihr Äußeres so her, weil innen nicht viel sei. Ihr Intelligenzquotient ließe
sich mit einem Fieberthermometer messen. Tatsächlich gab es gewisse Anzeichen dafür, legendär war etwa die Sache mit dem Speiseeis, inzwischen schon Jahre her.
    Fritzis Oma trug den Schlüssel zur Gefriertruhe immer an ihrem Hosenbund und hatte dann trotzdem mal vergessen abzuschließen. Die Enkelin nutzte diese Chance unmittelbar, aber sie
griff nicht einfach zu und futterte, bis ihr übel wurde, oder teilte ihre Beute sinnvoll mit Annie oder ihrer Bande, die damals noch auf Fahrrädern und Rollern herumstreunte. Nein, sie
schnappte sich einen ganzen Karton Eis am Stiel und lief damit in den Garten, grub mit dem Spaten ein Loch und stellte den Karton hinein. Mitten im Sommer.
    Annie sah dem dusseligen Mädchen zu: »Fritzi, was machst du denn?«
    »eh du, fapiss dich eh.« So in etwa klang schon damals ihre Antwort.
    »Fritzi, der Boden ist warm, das Eis wird schmelzen, du wirst es nie wiedersehen.«
    »is das weg, schlagisch schädel ein.«
    »Du musst es sofort essen, sonst ist es verloren. Ich helfe dir dabei!«
    Statt eine Antwort zu geben, hat das Gör nach Steinen gegriffen und Annie damit beworfen, sie wollte nichts von Teilen wissen. Nach einer Woche hatte Fritzi endlich Lust auf Eis, schaufelte
den Karton frei, fand jedoch nichts außer dem Papier und der Pappe und machte sich daraufhin natürlich auf die Suche nach der einzigen Augenzeugin. Sie wollte sie töten, »hast
mein eis gefressen!«, hat sie geschrien. Wochenlang war Annie nicht mehr vor ihr sicher.
    Fritzi war die Chefin im Ort, Annie konnte froh sein, dass sie ansonsten friedlich mit ihr umging. Ein halbes Jahr vorher hatte Fritzi einem Jungen aus der sechsten Klasse einen Finger
gebrochen, weil der ihr vier Euro schuldete. Doch an Annie hatte sie einen Narren gefressen: »tu annie was, schlag isch fresse ein, is meine freundin.«
    »Wieso ausgerechnet die?«, fragten ihre Mopedkumpels.
    »gibs sonst kein mädchen in scheißkaff, drum.«
    Was Annie durch den Kopf ging, interessierte Fritzi nicht, und umgekehrt. Annie kannte keine Bands und keine Stars, nicht eine Soap, nicht eine Show, weder die Mode noch das Geld. Sie war ein
Relikt aus Zeiten, als gelernte Schauspieler noch auf Brettern spielten und Musik von Hand gemacht wurde.

PAULA
    D ie letzten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher