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Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)

Titel: Süss wie Schattenmorellen / eBook (German Edition)
Autoren: Claudia Schreiber
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teuer, und schädlich. Habt ihr sie mal gewogen?«
    »Immer gleich schwer. Sie reichen noch für Jahre. Wir verschenken die Dosen inzwischen, jeder Freund und Bekannte bekommt ein paar zum Geburtstag, zur Hochzeit oder zu Weihnachten
geschenkt. Uns lädt schon niemand mehr ein. Annie muss sie an Advent zum Wichteln mit in die Schule nehmen – wer sie zieht, hat verloren.«
    Schließlich führte Nette den Geologen in den Keller, dort lagerten die Dosen in Kisten zu je achtundvierzig Stück in zwei von vier Kellerräumen bis unter die Decke.
    »Wir können froh sein, dass wir überhaupt was zu essen haben!«
    »Genau«, antwortete der Mann, legte Nette den Arm um die Taille und zog sie an sich: »Sie schmecken doch ganz prima.«
    Tage später fuhr Nette vor lauter guter Laune mit Annie in die Stadt, dort sollte das Mädchen partout ihren ersten BH bekommen, obwohl es keinen körperbaulichen Grund dafür
gab.
    »Wozu also?«, fragte Annie misstrauisch, weil sie wusste, wie schnell sich bei ihrer Mutter gute Laune ins Gegenteil verkehren konnte.
    »Einfach nur aus Spaß«, meinte die.
    »Was für ein Spaß?«
    »Na, die Freude, bald eine Frau zu werden. Vielleicht triffst du ja auch mal einen Geologen.«
    »Und für so eine Begegnung braucht man Wäsche?«
    »Genau!«
    »Auch wenn im BH nichts drin ist?«
    »Kommt schon, mach dir keine Sorgen.«
    »Weshalb macht dich ein fremder Mann so froh? Ich oder Opa aber nicht?«
    »Das ist doch was ganz anderes.«
    »Was denn genau?« Annie gab nicht auf.
    Ihre Mutter schaute sie an, dachte nach: »Der ganze Körper kribbelt, ’ne Stimmung, als hätte man viel Geld gemacht. Diese Nähe zu einem fremden Körper, der Geruch
dabei. Man macht Dinge, die man sonst nie macht.«
    »Also ist er besser als ich, der Sex?«
    »Besser als du? Quatsch, anders halt, wirst schon sehen, wenn’s so weit ist.«
    Wenige Meter vor dem Wäschegeschäft ließ sich Nette von einer schmierigen Wahrsagerin anquatschen, die an ihrem Ärmel zupfte: »Du haben gute Augen, sehr gute Augen,
Traurigkeit ist auch drin. Komm, gehen wir Straße runter, du haben nicht viel Glück gehabt. In Stirn ist eine Sieben, es werden alles gut. Was schon zwanzig Euro für Seele, wenn
tröstet.«
    Nette fragte ihre Tochter: »Brauchst du wirklich schon einen BH ?«
    »Ja, wer hatte denn die Idee?«
    Annie gab das Geld ohne Zögern her.
    »Siebenundachtzig werden du«, machte die Frau Nette ungeniert vor, »nett und freundlich ist der Mann, der meinen gut. Nix von hier, von weit weg. Noch ein Kind kommt in
Haus.«
    Auf dem Rückweg im Auto schwiegen beide. Annie schaute aus dem Fenster und ersehnte sich alles Mögliche für zwanzig Euro, sie hätte gern mal einen Lenkdrachen ausprobiert,
ein richtiger Busen wäre auch nicht verkehrt, selbst den konnte man kaufen, kostete bloß mehr. Wieso hatte sie keinen, fragte sie sich, wann würde das bei ihr losgehen, was so
losgeht bei Mädchen in ihrem Alter? Nette dagegen erträumte, dass es anders käme, als sie bisher vermutet hatte, ganz anders! Eine Beziehung, vielleicht eine ehrliche Ehe, ein
weiteres Kind sogar? Noch war sie nicht zu alt für einen völligen Neubeginn.
    Die Geologen verließen den Ort nach genau sieben Wochen, wie vorausgesagt. Nettes junger Liebhaber stellte anschließend in einem letzten Telefonat aus seinem Institut klar, dass er
bereits verheiratet sei, drei eigene Kinder habe, süß wie Pfirsiche, und nie wieder zu Nettes zarten Bohnen zurückkehren werde. Von da an hatte sie noch grauenhaftere Laune als
zuvor.
    »Die Wahrsagerin hat gelogen«, stellte Annie lakonisch fest.
    »Halt die Schnauze!«
    Opa wunderte sich: »Für so ’nen Scheiß hast du Geld?«
    Nette verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte am Küchentisch; der Alte sah sich veranlasst, seine Tochter zu trösten: »Nicht alle Kirschen kennen die glückliche
Liebe«, kommentierte er ihr Malheur. »Liebliche Bienen befruchten die Blüten der Süßkirsche mit ihrem pelzigen Po, drum ist ihr so süßlich zumute. Der
Schattenmorelle dagegen reicht, wenn ein anständiger Wind den Samen durch ihre Äste fegt. Kein Wunder, dass dich die zugige Liebe, die du bekommst, so sauer macht.«
    Zur Bekräftigung streichelte er ihr sogar über den Kopf. Dass Nette keine Süß-, sondern eine Sauerkirsche war, war bereits zur Legende geworden. Sie selbst versicherte
allen, die es wissen wollten oder nicht, seit jeher gehöre die Obstbauernfamilie wie die hauseigenen Bäume zu den
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