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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder
Autoren: Friedrich Ani
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hielt, an die Stirn.
    »Ist nicht tot, der Toto!« Bastian streichelte seinem Stoffelefanten den Kopf und zog am Rüssel.
    »Der Toto doch nicht, du Dödelsepp«, sagte Clarissa. »Der Opa vom Adrian ist tot.«
    »Ach so, ja.«
    »Was wünschst du dem Adrian?«, fragte Karla das Mädchen vor der Couch.
    Clarissa sagte: »Ich wünsch ihm, dass es aufhört zu stinken in der Straßenbahn.«
    »Und ich wünsch ihm, dass er wieder gut zu uns nach Hause kommt«, sagte Karla.
    »Das wünsche ich ihm auch«, sagte Yasmin.
    Ines Hermann wandte sich an Fanny. »Jetzt bist du dran.«
    Fanny schien nachzudenken, aber in Wahrheit wusste sie längst, was sie sagen wollte. »Ich wünsch ihm, dass er seine Mama trifft und dass sie ihn nicht wegschickt.«
    Nachdem auch Ines Hermann dem Jungen eine gute und schnelle Heimkehr gewünscht hatte, verließen die Kinder den Raum. In der Küche warteten bereits zwei Zwölf- und zwei Dreizehnjährige auf sie. Die Jugendlichen hatten im zweiten Stock ihre Zimmer und praktisch keinen Kontakt mit Adrian und auch kaum mit den anderen, kleineren Kindern. Unter den Jugendlichen in der Küche waren zwei Geschwister, ein Mädchen und ein Junge, die nur miteinander redeten, eng aneinandergeschmiegt, jeder auf seinem Stuhl.
    Oben, im Gute-Wünsche-Raum, öffnete Karla Tegel das Fenster. Schneeflocken wehten herein. Die beiden anderen Frauen standen gleichzeitig auf.
    »Ich bleib hier«, sagte Ines Hermann, »und ihr macht euch auf den Weg.«

[home]
    2
    I n Karlas weißem Smart fuhren die beiden Erzieherinnen zunächst vom St.-Zeno-Weg in Giesing in den benachbarten Stadtteil Haidhausen und klingelten bei der Familie Richter. Eine Nachbarin aus der Pariser Straße sagte, sie hätte Herrn Richter vor ungefähr einer Stunde auf dem Weihnachtsmarkt am Orleansplatz gesehen, »nüchtern war der nicht mehr, glaub ich«.
    Den Glauben der Frau konnten Karla und Yasmin im Gewühl zwischen den Holzbuden nicht verifizieren. Auf dem Foto, das sie aus Adrians Zimmer mitgenommen hatten und das den Jungen mit seinen Eltern im Biergarten zeigte, trug Ludwig Richter einen Strohhut, der einen Schatten auf sein Gesicht warf. Dennoch waren der dunkle Bart und die große Nase deutlich zu erkennen. Karla hatte bisher zweimal mit ihm gesprochen, Yasmin noch nie.
    Im Duft nach Glühwein, Bratwürsten und Gebäck drängten sich die beiden Frauen zwischen den Marktbesuchern hindurch. Sie blieben an jedem Ausschank stehen und betrachteten die Leute mit ihren dampfenden Tassen. Von Richter keine Spur.
    Anschließend rief Yasmin Ebert zum zweiten Mal, seit sie unterwegs waren, Karlas Nummer an. Wieder erreichte sie nur die Mailbox.
    Adrian hatte keine neue SMS geschrieben.
    Auf dem Ostfriedhof, der die Stadtteile Giesing und Au trennte, verbrachten sie fast eine Stunde. Sie hatten keine Ahnung, wo sich das Grab von Arnulf Richter, Adrians Großvater, befand, und streiften auf gut Glück durch die verschneiten Gräberreihen. Krähen hockten auf den schweren Ästen der Nadelbäume, einige hüpften über die Wege, auf der Suche nach Nahrung.
    Von den älteren Frauen, denen Karla das Foto der Familie Richter zeigte, hatte keine den Jungen gesehen. Auf vielen Gräbern brannten rote Lichter. Hinter der Nordmauer brauste ein Fernzug in Richtung Österreich, vom Gleisbett an der Ostseite drang das Quietschen der S-Bahnen herüber.
    Während Karla Tegel sommers wie winters stundenlange Spaziergänge auf städtischen Friedhöfen unternahm – besonders in den parkähnlichen Anlagen wie dem Ost- oder Waldfriedhof –, besuchte Yasmin Ebert die Gräber ihrer Angehörigen höchstens ein Mal im Jahr. Friedhöfe versetzten sie in eine miese Stimmung.
    Als sie beschlossen, die Suche zu beenden, beschleunigte Yasmin ihre Schritte und wartete danach fast eine Viertelstunde auf Karla, die ihr Auto vor einem Blumenladen in der Franziskanerstraße abgestellt hatte. Bevor sie einstiegen, wählte Yasmin zum dritten Mal die Nummer von Adrians Mutter.
    Endlich meldete sich Hannah Richter. »Was ist?«
    »Yasmin Ebert aus dem Zeno-Haus.«
    »Was ist?«
    »Wie geht es Ihnen, Frau Richter?«
    »Was ist?«
    »Sind Sie betrunken?«
    »Nein.«
    »Können Sie mir etwas über Ihren verstorbenen Schwiegervater erzählen?«
    »Jetzt?«
    »Ja.« Yasmin setzte sich auf den Beifahrersitz, ließ die Tür halb geöffnet. Karla hörte hinter dem Lenkrad zu.
    »Fragen Sie meinen Sohn, der hat den gut gekannt.«
    »Sie haben ihn auch gekannt. Ihr Sohn erzählt öfter mal
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