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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder
Autoren: Friedrich Ani
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die Hände in die Hüften und blickte wie eine mahnende Lehrerin in die Runde. »Ihr sollt ihn in Ruhe lassen. Das hat er zu mir gesagt, genau das. Und sonst gar nichts. Und jetzt geh ich zu den anderen, die verstehen, was ich mein.«
    »Du bleibst bitte hier«, sagte Ines Hermann. »Setz dich wieder. Wenn du uns nicht die Wahrheit sagst, müssen wir die Polizei einschalten. Dann muss jeder von euch mit einem Polizisten sprechen, und wenn die Polizei den Adrian gefunden hat, kommt er in ein Heim, aus dem er nicht weglaufen kann. Willst du das, Fanny? Willst du das, Nepomuk?«
    Wie vorhin schüttelte der Junge heftig den Kopf. Aus furchtvollen Augen sah er erst die Leiterin an, dann Karla, und als sein Blick zu Yasmin weiterhuschte, hielt er vor Schreck die Luft an. Karla biss sich auf die Lippe, um nicht zu lachen, während ihre Kollegin nicht die geringste Regung zeigte, was Nepomuk noch mehr einschüchterte.
    »Der kommt schon wieder, Mann«, sagte Fanny und ließ sich widerwillig auf den roten Stuhl fallen.
    Nepomuk hörte auf, den Kopf zu schütteln, und riss den Mund auf, weil er keine Luft mehr bekam.
    »Willst du uns etwas mitteilen?«, sagte Yasmin.
    »Ich weiß nichts.« Nepomuks Stimme war dünn und zittrig.
    Gerade, als Ines Hermann näher an Fanny heranrücken wollte, gab deren Handy einen Ton von sich. Sofort sah das Mädchen aufs Display.
    »Eine SMS von Adrian?«, sagte Karla.
    »In der Straßenbahn stinkt’s«, las Fanny vor. »Was machst du grad?«
    »Darf ich’s lesen?« Karla beugte sich vor und streckte die Hand aus. Fanny dachte daran, was sie wusste und niemals sagen würde, und hielt der Erzieherin das Handy hin. Karla las:
in der strasenbahn stingts. was machs du grad.
Wieder kam die Nachricht von ihrem eigenen Handy, das der Junge ihr offensichtlich nachts, als sie schlief, geklaut hatte. »Das Handy behalte ich vorläufig«, sagte Karla. »Du bekommst es zurück, sobald Adrian wieder im Haus ist.«
    »Von mir aus.« Fanny verschränkte die Arme, stellte die Füße, an denen sie grüne dicke Wollsocken trug, übereinander und sah mit ihrem meisterhaft eingeübten, im ganzen Haus bekannten Langeweileblick zur Tür.
    Eine Weile herrschte Schweigen.
    Bastian, der Junge auf der gelben Couch, hatte angefangen, mit den Beinen zu wippen. Clarissa, das Mädchen neben ihm, hielt ihrer Puppe die Hand vors Gesicht, warum auch immer.
     
    Karla dachte an Adrians Vater, der, wenn er von dem Verschwinden seines Sohnes erfuhr, zum Zeno-Haus eilen und einen vor Beleidigungen strotzenden Aufstand veranstalten würde, bevor er im schlimmsten Fall die Polizei alarmierte und die verantwortliche Erzieherin wegen Verletzung der Aufsichtspflicht anzeigte.
    Für die Entscheidung des Jugendamtes, seinen Sohn zeitweise im Zeno-Haus unterzubringen, bis eine Lösung des innerfamiliären chaotischen Zustands in Sicht wäre, hatte Ludwig Richter nur Verachtung übrig. Obwohl er den Aufnahme-Vertrag gemeinsam mit Adrians Mutter unterschrieben hatte, drohte er, alles daranzusetzen, um seinen Sohn »so schnell wie möglich aus den Klauen des staatlichen Vormunds« zu befreien.
    Abgesehen davon, dass das Zeno-Haus eine städtische Einrichtung war, gehörten solche Reaktionen zum Alltag der Mitarbeiterinnen. Allerdings neigte Richter zu Gewalttätigkeit, vor allem, wenn er getrunken hatte. Das war auch der Grund gewesen, warum Hannah Richter die gemeinsame Wohnung verlassen und in die Pension einer Freundin in Bahnhofsnähe gezogen war, in eine »Nuttenabsteige«, wie Richter erklärt hatte.
    Nach wiederholten Beschimpfungen am Telefon hatte Ines Hermann ihm untersagt, noch einmal anzurufen, und als er es trotzdem tat, ihm die Polizei ins Haus geschickt.
    Seither war Ruhe. Mit Adrians Mutter zu sprechen war zwar möglich, führte aber bisher zu keinerlei Verbesserungen zwischen den Eheleuten.
    »Bitte geht jetzt in eure Zimmer«, sagte Ines Hermann. »Und vorher schickt jeder von uns noch einen guten Wunsch für Adrian durchs Fenster.«
    Fanny und Yasmin schoben ihre Stühle herum, die anderen wandten nur den Kopf zum Fenster. Bastian und Clarissa sprangen von der Couch und drehten sich um. »Ich wünsche dir, dass du schnell wieder da bist, damit der Gängsta sich nicht fürchtet«, sagte Nepomuk und faltete die Hände.
    »Ich wünsche dir, dass dein Opa sich freut, wenn du kommst«, sagte Bastian, »und der Toto auch.«
    »Der ist doch tot«, sagte Clarissa und tippte sich mit dem Zeigefinger der Hand, in der sie die Puppe
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