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Süden und die Schlüsselkinder

Süden und die Schlüsselkinder

Titel: Süden und die Schlüsselkinder
Autoren: Friedrich Ani
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Giesing.
    Die architektonischen Veränderungen und Neubauten in der Stadt beeindruckten ihn teilweise, während er die allgemeine Alltagsunhöflichkeit in Geschäften und Gasthäusern wie das vertraute Brummen einer in seinem Ohr beheimateten Hummel empfand.
    An den üblichen, im Stehen stolpernden Selbstdarstellern der Stadt weidete er, wenn die Sonne schien oder er friedvoll bebiert war, seine Blicke.
    Nachts redete er manchmal mit seinem toten Freund und Kollegen Martin Heuer, den er seit der Kindheit gekannt und der sich mit seiner Dienstpistole erschossen hatte. An derlei zwielichtige Zwiegespräche hatte Süden sich gewöhnt wie an seine Existenz als Zwangsmünchner, denn wegzukommen schien unmöglich.
     
    »Den Kaffee mit Milch und Zucker?«, fragte Ines Hermann.
    »Schwarz«, sagte Süden.
    Als das von seiner Chefin verordnete und gekaufte Handy geklingelt hatte, war er gerade auf einem Marktplatz in Nichtmünchen Bob Dylan begegnet. Dieser ging vornübergebeugt, in einem schwarzen Mantel und mit einem dunklen Hut, zielstrebig in eine bestimmte Richtung. Er sprach ihn an, sagte irgendetwas, und Dylan lud ihn ein, zu einem Konzert mitzukommen, das er gleich in einem nahen Club geben würde.
    Obwohl Süden den amerikanischen Sänger und Dichter seit früher Jugend verehrte, hatte er trotz aller mentalen Anstrengungen noch nie von ihm geträumt. Bis heute Morgen.
    Und noch bevor er den Club erreichte, scheuchte ihn das verhasste Handy in die Scharfreiterstraße nach Giesing zurück. Er wartete, bis die Mailbox ansprang, und drehte sich dann noch einmal auf die linke Seite, nahm die Position ein, von der er glaubte, sie habe ihn direkt zum Meister geführt. Lächerliches Unterfangen. Er stieß die Bettdecke zu Boden, schlurfte ins Bad, hustete ausführlich ins Waschbecken und stellte sich gemäß seinem Motto »Ja zum Kreislauf!« unter die polarkalte Dusche.
    Zehn Minuten später telefonierte er mit Edith Liebergesell, die ihn fragte, wie er die gestrige Weihnachtsfeier verkraftet habe. Die Frage erschien ihm eigenartig, da er nachweislich am Leben war und nicht begriff, was an einer Weihnachtsfeier so schwer sein sollte.
    In seiner Zeit bei der Kripo hatte er auf solchen Feiern gelegentlich Luftgitarre mit Martin Heuer gespielt. Dies löste nicht durchwegs Beifallsstürme aus, stellte dafür eine Simulation von Kurzweil auf einer Veranstaltung dar, an der er freiwillig niemals teilgenommen hätte.
    Blendend verkraftet, sagte er am Telefon zu seiner Chefin, bevor sie ihm vom Anruf aus dem Zeno-Haus berichtete. Obwohl das Haus im selben Viertel lag, brauchte er mehr als eine Stunde dorthin. Er ging zu Fuß und machte immer wieder Pausen, legte den Kopf in den Nacken und öffnete den Mund für Schneeflocken.
    Außerdem schlug er zweimal die falsche Richtung ein.
    »Wir dachten, Sie hätten sich verlaufen.« Karla Tegel hielt ihm einen Teller mit Weihnachtsplätzchen hin. »Haben die Kinder gebacken.«
    Süden aß zwei mit bunten Streuseln und Schokolade glasierte Sterne, trank zwei Tassen Kaffee und hörte zu, was die Frauen ihm erzählten. Dann nahm er das rosafarbene Handy und las Adrians Kurznachrichten.
    »Die Polizei kann das Handy orten lassen«, sagte er.
    »Ja«, sagte Ines Hermann. »Aber Sie sind bestimmt schneller.«
    In ihrem Zimmer im ersten Stock wartete Fanny schon auf ihn. »Das ist super, dass Sie wieder da sind. Ich war auch schon da, als Sie die Sandra gefunden haben, das war eine Spitzenleistung, Herr Kommissar.«
    »Ich bin kein Kommissar.« Er stand im Türrahmen und traute sich nicht, einzutreten.
    Das Mädchen hüpfte in ihren grünen Wollsocken durchs Zimmer und schien sich über Südens Auftauchen unbändig zu freuen. Auf einem der beiden Betten saß ein zweites Mädchen, an die Wand gelehnt, mit einer Puppe, die ein Dirndl trug. Dieses Mädchen schaute stumm und mit großen Augen zu.
    »Sie sind der Allerbeste«, rief Fanny. »Wenn der Adrian mitkriegt, dass Sie nach ihm suchen, kommt er vielleicht gleich zurück. Der war damals noch nicht da, aber wir haben ihm alle von Ihnen erzählt, wie Sie die Sandra entdeckt haben und wie Sie das geschafft haben …«
    Süden schwieg.
    Das Mädchen hörte nicht auf zu reden. Hinter ihm standen Ines Hermann und Karla Tegel. Aus dem oberen Stock hörte er Rockmusik. Fanny sagte: »… Sie haben auch wieder Ihre blaue Kette um, die hab ich mir gemerkt, so eine Kette hat nicht jeder, wo haben Sie die her, ich würd auch gern …«
    »Fanny«, sagte
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