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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker
Autoren: Friedrich Ani
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sagte sie. Ich sagte: »Ich sehe mir auch gern Sterne an.«
    Elsa Schuster legte die Hand in den Nacken. »Ich guck mir doch keine Sterne an! Wissen Sie nicht, dass einige von denen schon längst erloschen sind, aber das Licht bloß so lange braucht bis zu uns?«
    »Na und?«
    »Na und? Was soll ich da extra hinschauen, wenn das alles bloß Bluff ist!«
    »Das ist doch kein Bluff!«, sagte ich. »Das sind physikalische Gesetze, die…«
    »Ja, ja«, sagte sie und klopfte mit der flachen Hand auf ihren Nacken. »Ist mir egal, ich bin verspannt. Ich war den ganzen Abend bei Frau Gerber, die hat ein Sofa, das ist so durchgesessen, da sitzen Sie praktisch auf dem Teppich. Ich musste ›Scrabble‹ mit ihr spielen, stundenlang, sie gewinnt dauernd. Na ja… Ich hab ihre Blumen gegossen, die Frau Gerber sitzt ja im Rollstuhl zur Zeit, Sie wissen doch, wegen dem Fahrradunfall…«
    »Wie gehts ihr?«
    »Besser als sie tut«, sagte Frau Schuster, warf einen Blick zum Wohnblock auf der anderen Seite der Wiese und senkte die Stimme. »Sie lässt sich verwöhnen, sie hat das gut raus, sie denkt, wir merken das nicht. Na ja… Ich hab jedenfalls zu ihr hochschauen müssen, stundenlang, ich glaub, ich nehm jetzt erst mal ein Entspannungsbad.«
    »Gute Idee«, sagte ich.
    Ich holte den Schlüssel aus der Tasche.
    »Der Mann war nicht dünn«, sagte Frau Schuster. »Aber so genau gesehen hab ich ihn nicht, ich war ja drüben bei Frau Gerber. Ich stand am Fenster, da hab ich ihn hier an der Tür gesehen.«
    »Und woher wissen Sie, dass er zu mir wollte?« Ich hielt ihr die Haustür auf, und sie ging hinein.
    »Das hat mir Frau Rinser gesagt, die ist nämlich grad rausgegangen, als der Mann da stand, und sie hat ihn gefragt, und er hat gesagt, er wollt nur sehen, ob ein gewisser Herr Süden hier wohnt…«
    »Hat er seinen Namen genannt?«
    »Das weiß ich nicht, ich hab Frau Rinser nicht gefragt.« Elsa Schuster sperrte ihre Wohnungstür im Parterre auf.
    »Gute Nacht!«, sagte ich. »Und gute Besserung!«
    »Na ja, so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich setz mich schon nicht gleich in einen Rollstuhl deswegen.«
    Zum Gruß hob sie die grüne Plastikkanne hoch. »Nacht, Herr Süden. Ach ja… Gibts eigentlich keine Friedhofspolizei? Andauernd klaut mir jemand meine Gießkannen, ich hab mir die jetzt von Frau Gerber geliehen…«
    »Auf dem Friedhof können Sie doch welche ausleihen«, sagte ich.
    »Da sieht man, dass Sie nie hingehen«, sagte sie. »Dort kriegen Sie keine! Die sind ständig weg. Und die Leute bringen sie nie zurück, die lassen die einfach stehen. Oder sie nehmen sie mit nach Hause. Können Ihre Kollegen da nicht mal auf Streife gehen?«
    »Auf dem Friedhof?«
    »Warum denn nicht? Die laufen ja sonst auch überall rum!«
    »Gute Nacht, Frau Schuster.«
    »Manchmal denk ich ja, Sie sind gar kein richtiger Polizist, Herr Süden.«
    »Was soll ich sonst sein?«
    »Na ja… Es gibt doch so Männer, die gehen morgens aus dem Haus und die Frau denkt, die gehen zur Arbeit. Aber die gehen nicht zur Arbeit, die tun nur so.«
    »Sie meinen, ich bin ein Simulant? Ein Polizistensimulant?«
    »Nein«, sagte sie und zog die Schultern hoch. »Sie sind schon echt. Bloß eben kein Polizist…«
    »Ich bin Polizist, Frau Schuster, das wissen Sie doch! Soll ich Ihnen meinen Ausweis zeigen?«
    »Ausweis zeigen!«, sagte sie und rieb sich am Hinterkopf.
    »Natürlich weiß ich, dass Sie ein Polizist sind, ich sag nur, manchmal denk ich eben, Sie sind ein ziemlich eigenartiger Polizist…«
    »Wäre es Ihnen lieber, wenn ich eine Uniform anhätte?«
    »Das fehlte noch! Ein Mann in einer grünen Uniform hier im Haus! Vielen Dank! Und jetzt gut Nacht.«
    Mit einer kurzen Kopfbewegung, die vielleicht mir galt oder nur ein Reflex ihrer Nackenschmerzen war, schloss sie die Wohnungstür.
    Im ersten Stock klingelte ich. Ich wusste nicht, wie spät es war, weil ich keine Uhr hatte, aber ich bildete mir ein, in der Wohnung noch Stimmen zu hören.
    Eine Frau, die etwas jünger war als Frau Schuster, öffnete.
    »Entschuldigung«, sagte ich.
    »Sie sinds!«
    »Hoffentlich störe ich nicht, Frau Rinser.«
    Sie machte die Tür weiter auf. In ihrem roten Kimono, der ihre zerbrechlich wirkende Figur betonte, und mit den hochgesteckten Haaren und den dezent aufgetragenen Lidschatten bildete sie einen schönen Gegensatz zu meiner bauchlastigen, langhaarigen Gestalt.
    »Möchten Sie einen grünen Tee?«, fragte sie.
    »Nein. Jemand hat nach mir gefragt,
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