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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker
Autoren: Friedrich Ani
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zu belästigen. Wir haben Ihnen zugehört, Sie haben uns Ihre Geschichte erzählt, wir haben Ihnen erklärt, dass es keine Vermisstenakte über Sie gibt, wir sind nicht zuständig für Sie. Gehen Sie nach Hause, sprechen Sie mit Ihrer Frau, schlafen Sie sich aus, vielleicht sind Sie übermüdet, ich kenne Sie nicht, Herr Holzapfel.«
    »Bitte?«, sagte er.
    »Bitte?«, sagte ich.
    »Sie haben Herr Holzapfel zu mir gesagt.«
    »Ja.«
    »Ich heiße nicht Holzapfel.«
    Für einen Moment dachte ich, da war einer auf Rache aus, da wollte jemand der Polizei etwas heimzahlen und es war ihm gelungen, eine ganze Abteilung drei Tage lang in Atem zu halten.
    Doch dann tat er etwas, das mich schlagartig von diesem Verdacht abbrachte.
    Er drehte sich um und rannte davon. Er ging nicht, er rannte. Quer durch die Halle, vorbei am Informationsschalter, am Uhrenverkäufer unter der Metalltreppe, am Zeitungsladen. Er lief Zickzack zwischen den Leuten hindurch, die aus dem Untergeschoß von den U- und S- Bahnen heraufkamen, und weiter in Richtung der Taxis, die vor dem Nordeingang warteten.
    Ohne nachzudenken stürzte ich hinter ihm her.
    Nach zwanzig Metern war ich außer Atem. Als ich die Halle verließ, sah ich das blassblaue Blouson hinter dem Rückgebäude eines Gasthauses verschwinden.
    Aus unerfindlichen Gründen folgte ich dem Mann, keuchend und hustend und im Wissen, dass ich als Beschatter nicht viel taugte. Schon als junger Kommissar hatte ich bei solchen Aktionen ständig das mulmige Gefühl gehabt, mehr beobachtet zu werden als selbst zu beobachten. Vor allem bei Observationen mit dem Auto kam ich mir unbeholfen und dilettantisch vor.
    Freilich schien die Verfolgung von Jeremias Holzapfel – oder wie immer er heißen mochte – keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen zu erfordern. Etwa dreihundert Meter vor mir hastete er dahin, sah nicht nach rechts und links, wich niemandem aus und bog schließlich gegenüber der »Pension Asta« von der Hirtenstraße nach links ab.
    Es war das erste Mal, dass ich mit meinen alten Turnschuhen tatsächlich rannte.
    Durch die Paul-Heyse-Unterführung gelangten wir zur Bayerstraße. Nachdem er sie überquert hatte, blieb Holzapfel abrupt stehen, sah hinüber zum Pressehaus und schwankte sekundenlang mit dem Oberkörper hin und her. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und schien über etwas nachzudenken.
    Ebenso ruckartig, wie er stehen geblieben war, setzte er seinen Weg fort.
    An der nächsten Ampel wartete er auf Grün, ging dann auf die andere Seite und von dort die Schwanthalerstraße hinauf zur Theresienhöhe. Wieder schien er niemanden und nichts wahrzunehmen, behielt sein Tempo die ganze Zeit gleichmäßig bei, und ich hatte Mühe an ihm dranzubleiben. Mein Hemd war schweißverklebt, und ich fing an mich zu fragen, ob ich verrückt geworden sei. Was wollte ich von dem Mann? Wieso hatte ich mich auf das Gespräch im Bahnhof eingelassen? Hing mein Verhalten mit Sonja Feyerabend zusammen? Wollte ich ihr einen Gefallen tun, weil die heimliche Zuneigung, die ich für sie empfand, weniger heimlich werden sollte?
    Ich blieb stehen. Ich war doch nicht wegen meiner Kollegin hier! Wenn sie davon erfahren würde, würde sie mich auslachen, und mein Vorgesetzter Thon würde sich wieder einmal in seiner Meinung bestätigt sehen, ich sei ein absolut unberechenbares, stures und verwirrtes Mitglied seiner Abteilung, für Teamarbeit im Grunde unbrauchbar.
    Weit vor mir näherte sich Holzapfel dem Karstadt-Gebäude, und sein Ziel war eindeutig: Das Kaufhaus befand sich in den unteren Etagen des Hochhauskomplexes, in dem er wohnte. Warum sollte ich ihm also weiter hinterherrennen?
    Warum?
    Warum rannte ich ihm weiter hinterher? Ich beeilte mich sogar. Vielleicht hatte ich einen Sonnenstich. Vielleicht hatte ich gerade einen Anfall von kindischer Abenteuerlust, die, so lächerlich sie für einen Mann von vierundvierzig Jahren auch sein mochte, nur zu überwinden war, indem ich ihr nachgab, egal was passierte. Wenn mein Schatten ein Eigenleben hätte, würde er sich an den Kopf greifen und nach einem anderen Körper, der ihn werfen könnte, Ausschau halten.
    Beim Einbiegen in die Schießstättstraße, die an der Westseite des Kaufhauses vorbeiführt, begriff ich, dass ich Holzapfel verloren hatte. Vermutlich war er in seine Wohnung zurückgekehrt, trank Tee und beruhigte sich wieder.
    Trotzdem kontrollierte ich das Klingelschild von Nummer 6 c, das pro Stockwerk sechs und im dreizehnten Stock
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