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Süden und der Straßenbahntrinker

Süden und der Straßenbahntrinker

Titel: Süden und der Straßenbahntrinker
Autoren: Friedrich Ani
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zwei Namen aufwies. Auf einem der weißen Schildchen im achten Stock stand in schwarzen Buchstaben: »Holzapfel«.
    Also waren die Eintragungen beim Einwohnermeldeamt, die meine Kollegen überprüft hatten, richtig. Was immer den Mann bewogen hatte uns aufzusuchen, es spielte keine Rolle mehr.
    Ich beschloss im Karstadt-Restaurant etwas zu essen. Warum ich nichts bemerkte, ist mir bis heute ein Rätsel.

2
    A m Abend wartete ich bis zehn Uhr auf Martin Heuer, dann trank ich mein Bier aus, bezahlte und ging.
    Wir waren in einem vietnamesischen Lokal nicht weit von seiner Wohnung entfernt verabredet gewesen, und ich hatte vier Stunden auf ihn gewartet. Dazusitzen, zu schauen und für mich zu sein inmitten redender, essender, flirtender Gäste war ein wachsendes Vergnügen, das nur zum Teil daher rührte, dass ich andere beobachtete und mich an ihren kleinen Tricks und Marotten erfreute. Was mich, je länger ich allein in einem Gasthaus saß, geradezu ermunterte noch etwas zu bestellen, war die Gewissheit, hinterher niemandes Anhang zu sein und niemanden in ein fremdes Zimmer begleiten zu müssen. Wie der Dichter sagt, hatte ich die Freiheit aufzubrechen, wohin ich wollte.
    Allerdings ärgerte ich mich maßlos, wenn mich jemand wohin bestellte und dann nicht auftauchte. Dabei spielte es keine Rolle, ob ich denjenigen kaum kannte oder ob es sich um meinen besten Freund handelte.
    »Heuer. Eine Nachricht wäre nett.« Zweimal hatte ich auf seinen Anrufbeantworter gesprochen, als wüsste ich nicht, dass ich ebenso gut an eine Wand hätte hinreden können. Wenn Martin in der Stadt gewesen wäre, hätte er sich längst gemeldet.
    Wegen der Fahndung nach einem jugendlichen Geschwisterpaar hatte er nach Berlin fliegen müssen, dem Mekka aller jungen Ausreißer, und nach zwei Tagen Suche mit den dortigen Kollegen sollte er heute Abend mit dem Flugzeug zurückkommen.
    Aber er kam nicht. Also bestellte ich die übliche Suppe, das übliche Hühnergericht, die üblichen Biere, wünschte heimlich einem streitenden Paar eine schnelle Trennung und hörte mir am Nebentisch eine Abhandlung über das Golfspielen an, die die Partnerin des Monologisierenden souverän ertrug, indem sie regelmäßig lächelte und nickte und ihm allen Ernstes die Hand streichelte, wenn er sie ihr gestenreich entgegenstreckte. Das Lokal war klein, und die Tische waren eng gestellt, so dass ich dem Gebrüll einer Frau hinter mir zuhören musste, die ihrem Begleiter ununterbrochen vorwarf, er sei ein Schwein und Lügner und Lügner und Schwein. Sofort wünschte ich, Bärbel Schäfer käme herein und böte den beiden einen Exklusivauftritt in ihrer Talkshow an.
    Später atmete ich vor der Tür die Stille ein. Die vorbeifahrenden Autos, Linienbusse und Straßenbahnen hörte ich nicht. Ich streckte die Arme in die Höhe und schloss die Augen. Sekunden grandioser Unabhängigkeit. Auch wenn ich froh war, dass niemand mich fragte, wovon oder von wem ich eigentlich unabhängig sei.
    Eine gewisse Menge Bier versetzte mich manchmal in einen Zustand innerer Überlegenheit, die unser Polizeipsychologe vermutlich als destruktive Aggression definiert hätte, auf die ich mir nichts, aber auch gar nichts einzubilden bräuchte.
    Der Nachteil von zu langem Alleinsitzen in überfüllten Gasthäusern war, dass mich auf dem Heimweg Stimmen überfielen, die durch meinen Kopf rasten wie von der Leine gelassene Hunde. Dann machte ich Umwege, weil ich ahnte, ich würde im Bett nicht einschlafen können.
    Da Martin in Neuhausen wohnt und ich in Giesing, musste ich quer durch die Stadt. Ich benutzte zuerst den Bus, dann die Tram, stieg aber bereits am Mariahilfplatz aus und ging zu Fuß den Nockherberg hinauf. Es war eine laue Nacht und in den Biergärten saßen immer noch Gäste.
    »Guten Abend, Herr Süden!«
    Fast wäre ich über die Stimme im Dunkeln erschrocken.
    »Frau Schuster!«, sagte ich.
    Die alte Frau, die im selben Haus wie ich wohnt, kam mir im Innenhof mit einer Gießkanne entgegen.
    »Ich hab Sie schon gesucht«, sagte sie. Sie hatte eine Strickjacke über ihrem braunen Kleid an und Filzpantoffeln an den nackten Füßen.
    »Hier bin ich«, sagte ich.
    »Sie haben Besuch gehabt, Herr Süden. Ein Mann.«
    »Ein dünner Mann mit struppigem Haar, in meinem Alter?«
    »Ich hab ihn nicht gefragt, wie alt er ist.« Sie stellte die Kanne ab und blickte zum Himmel.
    Ich schaute ebenfalls hinauf. Nach einer Weile bemerkte sie es.
    »Manchmal sind Sie sehr kindisch, Herr Süden«,
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