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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Autoren: Friedrich Ani
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noch«, sagte Jagoda .
    »Pro forma. Anna ist tot, daran gibt es keinen Zweifel. Oder würden Sie als Profi das bezweifeln?«
    Ich bezweifelte es nicht und sagte: »Die Kollegen suchen weiter, auch im Ausland, auch übers Internet, die Sonderkommission existiert nicht nur auf dem Papier.«
    »Selbstverständlich«, sagte er. Sein Gesicht war bleich, seine Stimme klang müde. Das Sakko war ihm zu weit, die Schultern standen unförmig ab, ein Knopf hing an einem Faden lose herunter. Er hob den Kopf, zögerte und räusperte sich. »Ich möcht Ihnen gern eine Frage stellen . Weil wir uns so zufällig begegnen, und weil …« Es schien, als denke er darüber nach, einen Schluck zu trinken, er legte die Hand ans halb volle Bierglas und nahm sie wieder weg. »Würde es Ihnen was ausmachen, sich kurz zu mir zu setzen? Nur eine Minute.«
    Ich drehte mich um. Johann stellte gerade meine Getränke auf den Tisch. »Ich komme gleich!«
    »Kein Problem«, sagte Johann, setzte sich und begann, eine Zigarette zu drehen.
    »Darf ich Ihnen was zu trinken bestellen?«, sagte Jagoda, nachdem ich ihm gegenüber Platz genommen hatte .
    »Nein.«
    Er klappte die Bibel zu und ließ seine Hand darauf liegen .
    »Sie sind nicht zuständig, das versteh ich.« Er sprach mit gedämpfter, unsicherer Stimme, die ich, obwohl ich nah vor ihm saß, teilweise schwer verstand. »Ich will Ihnen trotzdem etwas darlegen, ich hab darüber auch mit Ihren Kollegen diskutiert, und sie haben mir zugehört. Aber meine Überzeugung haben sie nicht geteilt, bis heute nicht.« Nach einer kurzen Pause redete er beinah murmelnd weiter. »Der Mörder lebt hier im Dorf. Jemand aus unserem Dorf hat unsere Anna entführt und wahrscheinlich ermordet, ich weiß das, und es gibt nur einen Menschen, der das beweisen könnte.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich weiß, Sie dürfen nicht, das würde Ihre Kompetenzen überschreiten. Aber worum ich Sie bitten möcht, betrifft Ihre Kompetenzen nicht. Ich möcht Sie bitten, einmal, nur einmal, die Akten durchzusehen, die meine Frau und ich gesammelt haben, Zeitungsausschnitte, Dinge, die wir uns aufgeschrieben haben, wenn die Kommissare bei uns waren. Nur ein Ordner, recht dick, ja, es sind auch Fotos dabei, Skizzen, Zeittabellen. Jemand aus Taging hat Anna umgebracht, und Sie können es herausfinden.«
    Er griff nach seinem Bierglas, sah mich aus schmalen Augen an und trank einen langen Schluck .
    »Haben Sie einen Beweis?«, sagte ich. »Ein stichhaltiges Indiz.«
    »Nein«, sagte Jagoda. »Ich weiß es einfach. Da ist kein Fremder mitten am Nachmittag am Seeufer entlanggefahren und hat Anna gesehen, und sie ist dann bei dem ins Auto gestiegen. Das ist absurd. So was macht die Anna nicht. Niemand hat einen Fremden gesehen. Es war drei Uhr am Nachmittag, Herr Süden, die Sonne schien, Leute waren unterwegs, Leute, die Anna gesehen haben, die sie beschreiben konnten. Und dann, von einer Sekunde zur andern, war sie weg. Da war jemand aus dem Dorf, den sie kannte, zu dem sie Vertrauen hatte, zu dem ist sie ins Auto gestiegen, und der hat sie entführt und ermordet. Eine andere Erklärung gibt es nicht.«
    »Kein Zeuge hat sie in ein Auto steigen sehen«, sagte ich .
    »Kein einziger.«
    »Ertrunken ist sie nicht.«
    »Es waren Taucher tief unten im Taginger See. Und wenn sie ins Wasser gegangen wär, aus welchen Gründen auch immer, hätt jemand sie bestimmt bemerkt. Auf dem See waren Ruderboote, Tretboote, am Ufer saßen Spaziergänger, niemand badet an dieser Stelle, das ist verboten dort.«
    »Anna ist kein vertrauensseliges Mädchen«, sagte ich .
    »Sie weiß genau, mit wem sie sprechen darf und mit wem nicht, das haben wir ihr früh beigebracht.« Er trank, verzog das Gesicht und stellte das Glas hin. »Abgestanden! Würden Sie das für mich und meine Frau tun? Einmal die Akte lesen? Vielleicht fällt Ihnen was auf, eine Winzigkeit. Ich hab von Ihren Erfolgen in der Zeitung gelesen .
    Ich bitt Sie, ich geb Ihnen die Akte mit und hol sie bei Gelegenheit bei Ihnen in München wieder ab.«
    Ich strich mir die Haare aus dem Gesicht. »Das wäre nicht nötig, ich könnte sie hier lesen, ich muss nicht ins Büro.«
    »Sie haben Urlaub?«
    »Zwangsurlaub.«
    »Um Gottes willen!«, sagte Jagoda. »Sie sind doch nicht suspendiert worden?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich muss Überstunden abbauen. Ich habe drei Wochen frei.«
    »Wie schön.«
    Ich sagte: »Sie sind Lehrer von Beruf?«
    »An der Grundschule. Ich hab auch Anna unterrichtet . Sie
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