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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Autoren: Friedrich Ani
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erinnerte ich mich plötzlich, hatte ich Johann ein Alibi gegeben, weil er unbedingt beim Auftritt einer Band im Bräukeller dabei sein wollte. Gegenüber seiner Mutter hatte er behauptet, er würde mit mir Tippkick spielen. Kurz nach zehn Uhr abends rief sie bei uns an, und ich sagte, Johann sei gerade auf der Toilette. Seine Eltern spionierten ihm ständig hinterher, obwohl er schon fünfzehn war. Ich radelte zum Bräukeller, um ihn zu holen. Doch er konnte nicht mehr aufrecht stehen, er hatte Bier und Schnaps getrunken und zu viele Zigaretten geraucht und hing über der Kloschüssel und würgte. Uns, den hilflosen Freunden, blieb nichts, als seinen Vater anzurufen, der ihn dann mit dem Auto abholte. Auf die nächsten Feste durfte er nicht gehen, und wieder tat er, was seine Eltern von ihm verlangten. Martin, mein bester Freund, und wir alle hielten Johann für feige und schwach, wir redeten auf ihn ein, sich zu wehren und einfach abzuhauen, wenn seine Eltern sich weiter stur stellten. Aber er entschied sich dagegen. Und er fing an, Stücke zu schreiben, Rocksongs, Balladen, heimlich natürlich, und die spielten die örtlichen Bands, auch die, in der ich trommelte, und es waren mit Abstand die stärksten Heuler, die wir im Repertoire hatten. Natürlich erzählten wir allen, die Kompositionen seien von uns, was die Mädchen praktisch wehrlos machte.
     
    »Ist ja eigentlich verboten«, sagte er und zündete sich eine filterlose Zigarette an, die er zuvor minutenlang akribisch gedreht hatte. Im Gegensatz zu mir trank er keinen Alkohol, sondern Orangensaftschorle. Dafür rauchte er ununterbrochen.
    »Auf jeden Fall ungewöhnlich für einen Pfarrer«, sagte ich.
    In der holzgetäfelten Gaststube saßen außer Johann Gross und mir ein Ehepaar mit zwei Kindern im Vorschulalter, Touristen aus Thüringen, wie Johann mir erklärt hatte, und zwei Männer in karierten Hemden, die fast wortlos Karten spielten, wie gelangweilt, wie gezwungen. Die Karten flogen hin und her, und wenn einer gewonnen hatte, sagte der andere: »Rache!« Von Johann wusste ich, dass ihre Väter, beides Landwirte in Taging, sie enterbt hatten, weil der eine, anstatt den Hof zu übernehmen, in der Kreisstadt eine Lehre als Raumausstatter gemacht hatte und seither dort arbeitete und der andere ebenfalls in der Kreisstadt als Elektriker in einer großen Autowerkstatt untergekommen war. Allerdings wohnten sie immer noch zu Hause, auf Wunsch der Mütter, wie sie Johann erzählt hatten, damit die Väter eventuell doch noch ein Einsehen hätten und wieder mit ihren Söhnen redeten, was die alten Männer bislang strikt verweigerten. Nach Johanns Meinung warfen die Bauernhöfe kaum noch Gewinn ab.
    Unter einem dunklen Gemälde saß ein weiterer Mann und las in einem Buch. Er trug ein dunkles Jackett und machte einen konzentrierten, beinah verkniffenen Eindruck. An seinem Bierglas nippte er nur .
    »Die Leut sagen, die Feiningerin ist schuld.« Johann kratzte sich am Ohr und sah ausdruckslos an mir vorbei zur Tür. »Die hat den Pfarrer Wild so weit gebracht. Ich glaub gar nix.«
    »Hat er keinen Abschiedsbrief hinterlassen?«, sagte ich .
    Mein Glas war leer, aber Irmi, die Bedienung, las am Tisch vor dem Tresen Zeitung, und ich wollte sie nicht stören.
    »Nein«, sagte Johann. »Keine Ahnung. Die Sache mit der Feiningerin ist ja bloß ein Gerücht, so was brauchen die Leut, damits was haben, an dem sie sich aufgeilen können. Vergiss die Leut!« Er trank, wischte sich über den Mund, zog ein Blättchen aus der schmalen Packung und verteilte Tabakkrümel darauf .
    Ich sagte: »Leben deine Eltern noch?«
    Er leckte über das Papier und klebte die mickrige Fluppe zu. »Meine Mutter ist weggezogen, vor zehn Jahren schon, mein Vater hat wieder geheiratet, wir sehen uns selten. Ich arbeit jeden Tag, das ganze Jahr. Im Dezember haben wir drei Wochen zu, lohnt sich nicht. Lohnt sich noch weniger als sonst im Jahr.« Wieder hatte ich den Eindruck, er bemühe sich um ein Grinsen, doch es gelang ihm nicht, vielleicht hatte er es verlernt oder sein Mund hatte vergessen, wie es ging.
    »Wieso hast du deine Ausbildung als Krankenpfleger nicht beendet?«, sagte ich.
    »Hab ich dir doch erklärt, ich war selber krank.« Er sog den Rauch tief ein, und ich musste an Martin denken, der seine Salemohne genauso gierig inhalierte .
    »Aber danach«, sagte ich. »Als du deine Krisen hinter dir hattest.«
    »Kein Geld.« Er rauchte, nahm mein Glas und hielt es hoch. Offenbar hatte
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