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Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel

Titel: Süden und der Mann im langen schwarzen Mantel
Autoren: Friedrich Ani
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Irmi, die hinter meinem Rücken saß, ihre Lektüre unterbrochen .
    Wir schwiegen.
    Am Fenster rief einer der beiden Spieler »Rache!« und knallte seine Restkarten auf den Tisch .
    »Zum Wohl, Herr Süden!« Irmi stellte das Bier hin und strich Johann über die Schulter. »Der Hansi hat mir heut Nachmittag erzählt, Sie kennen sich aus der Schule. Ich kenn Sie auch noch als Bub. Ich arbeit ja schon fast dreißig Jahre hier. An meinem fünfundsechzigsten hör ich auf nächstes Jahr, das hab ich mir geschworen.«
    »Du hörst bestimmt nicht auf«, sagte Johann. »Das hast du schon vor deinem sechzigsten gesagt.«
    »Aber jetzt langts.« Dann beugte sie sich zu uns herunter, wobei sie das kleine silberne Kreuz, das sie an einer Kette um den Hals trug, an ihre Brust drückte. »Der Herr da hinten, Herr Süden, das ist der Herr Jagoda, der Lehrer, Sie haben bestimmt von der schrecklichen Sache gehört, Sie sind ja bei der Polizei. Er kommt immer mittwochs und freitags, allein, ohne seine Frau. Hast du das schon erzählt, Hansi?«
    »Nein«, sagte Johann, kratzte sich hastig am Ohr und sah wieder zur Tür, als erwarte er jemanden. Der Gast, von dem Irmi redete, schien ihn nicht zu interessieren .
    »Armer Mann«, sagte Irmi und sprach noch leiser. »Seine Frau sieht man gar nicht mehr. So was erträgt kein Mensch. Wissen Sie was Neues? Gibts eine neue Spur?«
    Jeder im Dezernat 11 hatte vom Fall Anna Jagoda gehört.
    »So was wünsch ich meinem ärgsten Feind nicht!« Erschrocken über ihre laute Stimme, fuhr Irmi sich über den Mund. »Einfach weg, wie vom Erdboden verschluckt«, flüsterte sie. »Schon ein Jahr her, wir sind überschwemmt worden von Reportern, in allen Zeitungen stand was über uns. Manche haben geschrieben, wir würden was verheimlichen, haben Sie das gelesen, Herr Süden? Das ist doch unerhört! Und Ihre Kollegen haben nichts dagegen unternommen.«
    Natürlich hatten auch wir in München über unser Computersystem INPOL die Daten der Kollegen mit Fällen aus unserem Zuständigkeitsbereich abgeglichen .
    »Die zehnjährige Anna«, sagte ich. »Das Dezernat, in dem ich arbeite, ist für diesen Fall nicht zuständig, wir kümmern uns nur um Vermissungen aus München und der nächsten Umgebung.«
    »Schade«, sagte Irmi. Einer der Kartenspieler winkte ihr .
    »Man hofft ja immer, dass das Kind wiederkommt. Und niemand hat was gesehen, wie so oft. Und das in unserem Dorf!« Sie legte die Hand auf das Kreuz an ihrer Brust und ging zum Fenstertisch .
    »Was ist deine Vermutung?«, sagte ich .
    Johann drückte die Kippe mit dem Daumen im Aschenbecher aus. »Ich kenn die Familie fast nicht, keine Ahnung. Sie haben den Krapp verdächtigt. Die Zeitungen und die Leut. Den musst du kennen, der ist so alt wie wir.«
    »Der Sohn vom Friseur«, sagte ich .
    »Sein Vater hat den Laden an ihn übergeben, Niko hat keine Wahl gehabt. Geschieht ihm recht, dem Angeber . Er hat seinen Laden zumachen müssen, die Leut ächten den. Obwohl die Polizei gesagt hat, er ist unschuldig. Ich bin nie zu dem gegangen, ich schneid mir meine Haare selber.«
    »Ehrlich?«, sagte ich .
    »Ist ein Witz. Willst du noch ein Bier?«
    »Ja«, sagte ich. Weshalb er nur Saft trank, wusste ich nicht, und ich wollte ihn nicht ausfragen. »Und einen Schnaps.«
    »Nimm den Obstler«, sagte er, stand auf und nahm mein Glas, das ich ziemlich schnell geleert hatte .
    Als er zum Tresen ging, blickte ich hinüber zu dem lesenden Mann unter dem Gemälde. Er sah mich an, offenbar schon eine Weile. Er nickte mir zu, und ich tat dasselbe .
    Dann stand ich auf und ging zu ihm.
    »Herr Süden«, sagte er. »Ich bin Severin Jagoda.«
    Ich gab ihm die Hand. Er schob das Buch beiseite, eine Bibel.
    »Was Ihnen zugestoßen ist, tut mir sehr Leid«, sagte ich .
    »Sind Sie jetzt für meine Tochter zuständig?«, sagte er.
    »Nein«, sagte ich. »Ich bin hier, weil meine Mutter heute siebzig geworden wäre.«
    »Ich hab Sie auf dem Friedhof gesehen«, sagte er. »Ich war heut Abend am Grab meiner Schwiegermutter und bin grad weggefahren, als sie kamen. Ich hab Sie sofort erkannt, Ihr Bild war ein paar Mal in der Zeitung.«
    »Haben Sie neue Informationen?«, sagte ich .
    Das Bild, unter dem er saß, zeigte ein dunkles Pferd auf einer dunklen Weide vor einem dunklen Wald unter dunklem Himmel. Es war ein schauerlich gemaltes Gemälde, und vielleicht schämten sich die Farben so für das Motiv, dass sie unaufhörlich nachdunkelten .
    »Die Sonderkommission existiert
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