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Sturz in den Tod (German Edition)

Sturz in den Tod (German Edition)

Titel: Sturz in den Tod (German Edition)
Autoren: Anke Gebert
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lassen?
    Seine Mutter war tot, durchfuhr es Alexander beinahe wütend, und
Katharina redete über die Konsistenz des Spargels.
    Plötzlich legte seine Frau das Besteck beiseite und sah ihn an.
Ertappt wandte Alexander den Blick ab. Katharina stand auf und küsste ihn auf
den Kopf. »Es tut mir sehr leid, dass deine Mutter tot ist.«
    Alexander kamen die Tränen. »Ich werde mich um alles kümmern. Ich
werde mit der Polizei reden, wann sie die … Wann meine Mutter freigegeben
wird zur Beerdigung. Um die Wohnung kümmern werde ich mich auch und um das
Testament …«
    »Genau so wirst du es machen«, sagte Katharina, wandte sich ab und
ging in die offene Küche. »Willst du noch Spargel?«
    ***
    Kaum hatte Nina ihre Strandmatte ausgebreitet, kam es ihr
wie ein dummer Fehler vor, den späten Nachmittag hier in der Sonne verbringen
zu wollen. Sie ahnte, dass sie keine Ruhe finden würde, so wie es wohl den
meisten Einheimischen erging, wenn sie sich aus dem Alltag heraus dorthin
begaben, wo andere ihren Urlaub verbrachten. Nina hatte zwar alle Putzjobs der
Mutter erledigt, im Maritim und auch zu Hause, doch sie hatte sich wieder nicht
um ihre eigentlichen Jobs gekümmert. Weil sie sich nicht konzentrieren konnte,
war sie schließlich an den Strand gegangen. Sie musste ständig an die tote Frau
Bergmann denken.
    Nina saß in der Nähe des Spielplatzes. Auf dem riesigen Trampolin
hüpften vergnügt Kinder. Die erste Reihe Strandkörbe stand so weit von Ninas
Platz entfernt, dass die Vermieter, eine Travemünder Familie, sie hoffentlich
nicht erkennen würden.
    Nina nahm eine Wasserflasche aus dem Korb und ein paar Erdbeeren,
die sie sich in einem der Erdbeerhäuschen des Hofes Karl am Strandbahnhof
gekauft hatte.
    Sie sah zum Maritim. Auf dem Vorbau, auf dem Frau Bergmann gelegen
hatte, hockten zwei Frauen in Kittelschürzen und schrubbten das Dach. Nina
wandte den Blick ab, steckte die Schale mit den Erdbeeren zurück in ihren
Bastkorb, setzte sich mit aufrechtem Rücken zum Maritim und blickte übers Meer.
    Frau Bergmann hatte immer viel geredet, doch hatte sie wirklich
etwas erzählt? Und hatte Nina richtig zugehört? Auch ihre Mutter wusste nur,
dass Frau Bergmann einen längst erwachsenen Sohn hatte, der in Hamburg lebte.
Und dass es eine Enkelin gab. Dass ihr Mann schon länger tot war und Frau
Bergmann nach dessen Tod die Firma an ihren Sohn übergeben hatte und von
Hamburg nach Travemünde gezogen war. Ihr einstiges Feriendomizil war nun seit
Jahren Frau Bergmanns fester Wohnsitz gewesen. Hier sei sie glücklich, hatte
sie immer wieder betont. Hier könne sie bis ans Ende ihrer Tage leben. Hier
habe sie fast alles, was das Leben eines älteren Menschen angenehm mache. Sogar
eine Gegensprechanlage – sobald sie dort den Hörer abnehme, sei einer der
Pförtner dran. Man könnte sich Lebensmittel und Getränkekisten liefern lassen.
Ein Arzt komme bei Bedarf ins Haus, aber bisher habe sie noch keinen gebraucht,
so weit sei es noch lange nicht. Aber wenn doch eines Tages, dann wolle sie
hier sterben und nicht im Seniorenheim auf der anderen Seite der Trave, dessen
Bewohner zweifellos an der Endstation waren. Hier dagegen, im Maritim, komme
sie sich vor wie ein Gast in einem guten Hotel.
    Nina glaubte nicht, dass Frau Bergmann aus Versehen über die
Brüstung des Balkons gestürzt war. Aber weshalb sollte sie gesprungen sein?
Oder hatte ihr ein Arzt irgendeine schreckliche Krankheit offenbart? Noch vor
zwei Tagen, als Nina bei Frau Bergmann geputzt hatte, wies nichts darauf hin.
Auch Ninas Mutter hatte keine Erklärung dafür, weshalb Frau Bergmann gesprungen
sein könnte. Und wäre eine Dame wie sie auf diese Weise gesprungen? Im
Bademantel, unter dem sie nichts trug? Wohl wissend, dass ihr nackter Körper
entblößt werden könnte? Niemals, davon war Nina überzeugt. Frau Bergmann hätte
sich einen eleganteren Abgang in den Tod verschafft.
    Was Nina allerdings irritiert hatte, war etwas, das ihre Mutter ihr
heute zum ersten Mal erzählt hatte: Im Laufe der achtunddreißig Jahre, die es
das Maritim inzwischen gab, hatten sich angeblich schon mehrere Menschen in den
Tod gestürzt. Der Ausblick von den hoch gelegenen Balkonen weckte bei einigen
vermutlich Todessehnsucht, zog manche direkt in die Tiefe. Makler rieten
älteren Menschen inzwischen zu Wohnungen in den unteren Stockwerken.
    Nina rollte die Strandmatte zusammen, strich sich den Sand von den
Jeans und packte ihre Korbtasche wieder ein. In ihren roten
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