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Sturmsegel

Sturmsegel

Titel: Sturmsegel
Autoren: Corina Bomann
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fallen und begann hemmungslos zu weinen. Der Wind umfing sie dabei und die Wellen rauschten, als wollten sie sie beruhigen. Möwen kreisten über ihr und stießen ein paar schrille Rufe aus, doch Anneke bekam es nicht mit.
    Erst als jemand gegen ihre Schulter tippte, blickte sie auf. Marte stand hinter ihr. Durch das Tosen der Wellen hatte sie sie nicht kommen gehört.
    »Ich war bei deinem Haus, aber da sagte man mir, dass du gerade fortgelaufen wärst«, erklärte sie. »Ich dachte mir, dass du hierher kommen würdest.«
    »Meine Mutter ist gestorben«, antwortete Anneke mit rauer Stimme. »Kurz nachdem wir uns auf dem Markt getroffen haben.«
    Marte sagte darauf nichts. Sie legte nur ihren Arm um Anneke.
    Schweigend blickten beide Mädchen auf die See hinaus. Ein Segel tauchte diesmal nicht auf.
    »Du kannst zu uns kommen, wenn du möchtest«, sagte Marte schließlich.
    Anneke reagierte nicht. Sie blickte auf das Meer, sah es aber nicht mehr. Stattdessen hatte sie das Bild ihrer Mutter vor sich und begann sich zu fragen, ob dies nicht nur ein böser Traum war, aus dem sie erwachen konnte, wenn sie sich nur fest genug in den Handrücken kniff.
    »Vater hat sicher nichts dagegen und Mutter freut sich über jedes weitere Kind«, fuhr Marte fort und diesmal erreichten ihre Worte den Verstand ihrer Freundin.
    »Danke, aber ich werde erst mal versuchen, allein zurechtzukommen«, entgegnete Anneke und ihre Stimme fühlte sich an wie ein Kloß, der sich in ihrer Kehle drehte. »Ich muss mich um die Hütte kümmern, immerhin gehörte sie meiner Mutter. Sie würde nicht wollen, dass sie verfällt oder andere Leute dort einziehen.«
    Marte wollte schon sagen, dass sie die Hütte behalten und trotzdem zu ihnen ziehen konnte. Aber sie sprach es nicht aus. Sie wusste, dass ihre Freundin nicht darauf eingehen würde, um das Andenken und Erbe der Mutter zu ehren.
    Also schwieg sie und hielt sie weiterhin in ihrem Arm, während Anneke nun wieder begann, leise vor sich hin zu weinen.
    *
    Als Anneke am späten Nachmittag zur Hütte zurückkehrte, waren die Totenfrau und ihre Helferinnen verschwunden. Nur die Nachbarin war noch da. Sie saß am Küchentisch und strickte. Was aus dem grauen Wollgebilde an ihren großen Nadeln werden sollte, war allerdings nicht zu erkennen.
    »Ah, da bist du ja wieder«, sagte sie, als Anneke durch die Tür trat. »Ich habe auf dich gewartet. Warst bei Marte, stimmt's? Die hat jedenfalls nach dir gefragt.«
    Anneke nickte der Einfachheit halber. Zu erklären, dass Marte sie am Strand gefunden hatte, war ihr zu umständlich.
    »Nun, dann kann ich wohl wieder gehen«, sagte Magda Fehrmann dann und erhob sich. Nadeln und Wolle wanderten in den Korb, der neben dem Tisch stand. »Deine Mutter ist versorgt, morgen früh kommen die Totengräber. Achte ja auf die Kerzen, damit dein Haus nicht niederbrennt. Ich habe zwischendurch immer wieder nach ihnen geschaut.«
    ›Dein Haus‹. Anneke erschien das seltsam. Und sie wusste auch nicht, wie sie die Totenwache halten sollte.
    »Wenn du möchtest, kannst du heute Abend zu mir kommen«, sagte die Frau, als sie zur Tür ging. »Warme Grütze und Brot habe ich immer für dich. Und wenn du mir das Huhn da bringst, bereite ich es dir zu.«
    Das Huhn! Sie hatte es ganz vergessen. Der Käfig stand noch immer neben der Feuerstelle, das Huhn selbst hatte sich hingehockt, als wollte es ein Ei legen.
    »Ich danke Euch«, sagte Anneke, auch wenn sie sicher war, dass sie das Angebot der Nachbarin nicht annehmen würde. Sie könnte sicher keinen einzigen Bissen hinunterbekommen, denn ihr Magen kam ihr wie zugeschnürt vor.
    Die Nachbarin verharrte noch einen Moment lang auf der Schwelle, als könnte sie sich nicht entschließen hinauszugehen. Dann gab sie sich einen Ruck und wenig später fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
    Anneke starrte ihr einen Moment lang nach, dann ging sie zu dem Huhn. Es stieß ein lang gezogenes Klagen aus, fast so, als fürchte es, dass Anneke es jetzt schlachten wollte.
    »Keine Sorge, ich schlachte dich nicht«, sagte das Mädchen und tippte gegen den Käfig des Tiers. »Es hat jetzt keinen Zweck mehr.«
    Die Henne gackerte trotzdem. Offenbar hatte sie Hunger.
    Anneke erinnerte sich, dass sie noch etwas Korn auf dem Dachboden hatten, also verließ sie die Küche und ging nach oben. Als sie mit einer Schürzentasche voller Weizen zurückkehrte, blieb sie, ohne dass es ihr bewusst war, an der Tür der Schlafkammer stehen. Die Kerzen dort brannten
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