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Sturms Jagd

Titel: Sturms Jagd
Autoren: M Quandt
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galt, denn der war selbstverständlich legitimiert, die Akten jederzeit einzusehen – vorausgesetzt, er hielt sich an den Dienstweg und forderte sie offiziell an.
    Schließlich gab sich Boll einen Ruck. »Sie scheint schriftliche Verweise und Missbilligungen … äh, zu sammeln«, erklärte er.
    Der sogenannte Verweis und die Missbilligung waren Instrumente des Disziplinarrechts. Vereinfacht ausgedrückt dienten sie dazu, Verfehlungen seitens der Beamten zu ahnden, etwa so, wie die gelbe Karte beim Fußball. In der Regel wurden sie vom Dienstvorgesetzten ausgesprochen, und sie wirkten sich gemeinhin äußerst ungünstig aus, wenn der jeweilige Beamte zur Beförderung anstand, ganz gleich, wie überzeugend seine übrigen Leistungen auch sein mochten.
    »Sie sammelt Missbilligungen?«
    »Ganz recht. Sie wurde in den letzten Jahren fast ein Dutzend Mal schriftlich gerügt.«
    Dr. Bohne reichte seinem Gegenüber eine Zigarre. Boll nahm sie entgegen. Da sie sich im Kaminzimmer des Brauhauses befanden, in einem abgetrennten Bereich für geschlossene Gesellschaften, galt das offizielle Rauchverbot für Kneipen und Gaststätten hier nicht. Noch nicht.
    »Was war der Grund für diese Rügen?«, fragte der PP. Er hielt dem Fettwanst sein Feuerzeug hin.
    »Ah … vielen Dank, Herr Polizeipräsident … An sich nichts Weltbewegendes, hier macht’s halt die Summe … Ausgezeichnete Zigarre … Also etliches läuft darauf hinaus, dass man sich über ihr Verhalten beschwerte, meistens die Rechtsanwälte irgendwelcher Leute, mit denen sie dienstlich zu tun hatte, sei es bei Festnahmen, bei Hausdurchsuchungen, bei Sicherstellungen. Frau Sturm scheint es bei solchen Gelegenheiten mit den Formvorschriften nicht allzu genau zu nehmen. Ich weiß nicht, was für einen Kreuzzug sie führt, aber es macht ihr offenbar Spaß, Behörden zu foppen. Außerdem hat sie ein recht loses Mundwerk, sie legt sich gern mit Vorgesetzten an, wie mir scheint. Also diese Zigarre ist wirklich delikat. Und sie benutzt im Dienst ständig ihr privates Kfz, stellen Sie sich vor, irgendein aufgemotztes Motorrad. Tsss … Die Frau scheint sich für fünfundzwanzig zu halten. Ich selbst habe ihr vor ein paar Monaten schriftlich erklärt, dass ihr Verhalten schon aus Gründen des Versicherungsschutzes nicht hinnehmbar …«
    »Haben Sie Frau Sturm jemals persönlich kennengelernt?«, fiel ihm der PP ins Wort.
    Am Nachbartisch wurde gerade das Stimmungslied Viva Colonia intoniert, gefolgt von Superjeilezick . Es war erstaunlich, mit welchem Eifer sich gestandene Polizeiräte dem Absingen von Trinkliedern widmeten, wenn die Stimmung gut war und die Gelegenheit günstig. In Anbetracht des immensen Geräuschpegels fiel es Wagemann schwer, Bolls Worte zu belauschen. Doch obwohl der Fettwanst kaum noch zu verstehen war, konnte man ihm deutlich ansehen, dass ihn die letzte Frage des Polizeipräsidenten aus dem Konzept gebracht hatte: Oswald Boll wurde puterrot. Wagemann hatte dafür keine Erklärung.
    »Äh …«, stammelte Boll, »nein, persönlich habe ich sie nie zu Gesicht bekommen.«
    Das war glatt gelogen, denn vor ein paar Wochen war sie ihm im Präsidium über den Weg gelaufen. Natürlich kannte sie ihn nicht, aber er hatte sie sehr wohl erkannt, denn zu ihrer Personalakte gehörte selbstverständlich auch ein Porträtfoto. Voller Unbehagen erinnerte sich Boll daran, wie beeindruckt er kurzzeitig von ihr gewesen war: Sie hatte unnahbar auf ihn gewirkt in ihrer ledernen Motorradkluft, mit ihrem wogenden, fast hüftlangen Haar und ihrer lässigen Art. Nein, hatte er sich eingestehen müssen, so trat keine Frau auf, die spürte, dass ihre besten Jahre vorbei waren und die sich deshalb wie eine Teenagerin benahm.
    Doch dann hatte er sich darauf besonnen, sich nicht von ihrem Äußeren blenden zu lassen. Sie sah nicht nur unverschämt gut aus, sie war auch unverschämt. Und überhaupt, gut aussehende Frauen waren Oswald Boll schon von Kindesbeinen an suspekt gewesen. Alles in allem sah er keinen Grund, warum er dem Polizeipräsidenten von der flüchtigen Begegnung erzählen sollte.
    Herr Dr. Bohne zog an seiner Zigarre. Dabei machte er ein Gesicht, als hätte man ihn gezwungen, an einem im Rinnstein gefundenen Zigarettenstummel zu lutschen. »Das ist eine ernste Angelegenheit, mein lieber Böll, eine äußerst ernste Angelegenheit.«
    »Boll, der Name ist Boll, Herr Polizei…«
    »Stellen Sie sich bitte ein beschauliches Provinzkrankenhaus vor, Böll, irgendwo auf
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