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Sturmbote

Sturmbote

Titel: Sturmbote
Autoren: Tom Lloyd
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überraschte Dohle, denn die meisten Leute in der Stadt waren nach dem wochenlangen Chaos hager und abgezehrt gewesen. Diese Frau zeigte keine Auswirkungen der Magie des Barden, aber er konnte ein Dutzend üblicher Verwundungen erkennen, einige waren frisch, einige bereits halb verheilt. Ein Auge war von einer langgezogenen Schwellung fast zugedrückt. Sie presste etwas an sich, vielleicht ein Buch, das in dickes Tuch gewickelt war.
    »Es ist vorbei, du bist jetzt in Sicherheit«, sagte Ilumene beruhigend. Dohle war über diesen Tonfall aufs Äußerste verblüfft. Ilumene klang so freundlich und tröstend wie die Mönche in Vellerns Kloster – bis jetzt hatte er nicht geglaubt, dass der Mann aus Narkang zu irgendjemandem außer dem Barden nett sein konnte. Er wollte die Frau warnen, nicht so dumm zu sein, er wollte sie anschreien, dass sie fliehen müsse und Ilumene nicht trauen sollte, um nicht in seine gemeinen Ränke hineingezogen zu werden.
Stattdessen schlug er die Augen aber nieder und schwieg, von seiner Feigheit gelähmt. Er biss sich auf die Lippe und verabscheute sich von da an noch mehr, wenn das überhaupt möglich war.
    »Was ist hier geschehen?«, fragte sie durch ihre aufgesprungenen Lippen. Sie schien verunsichert und blinzelte im hellen Licht misstrauisch auf das zerstörte Land hinaus, das sich ihr offenbarte. Sie wirkte unverständig, und Dohle erkannte, dass sie nicht einmal wusste, wo sie war.
    »Krieg und die Grausamkeit der Götter«, antwortete Venn augenblicklich, sah sie dabei aber nicht an. Die Frau drückte sich näher an Ilumene, als Venns eisige Stimme erklang. Und er legte sofort schützend den Arm um sie. Sie lehnte sich dankbar gegen ihn, der sogar noch größer war als sie selbst, und bemerkte das blutige Muster nicht, das seinen Handrücken bedeckte.
    »Du musst dir keine Sorgen um das machen, was hier geschah«, wiederholte Ilumene. »Es ist vorbei. Ein neuer Tag ist angebrochen.«
    »Wer bist du?«, flüsterte sie. »Wie hast du mich gefunden?«
    »Fürs Erste ist nur wichtig, dass du jetzt in Sicherheit bist«, sagte er und strich ihr übers Haar.
    Die Frau verzog das Gesicht. Dohle erkannte, dass sie ihre Retter anzulächeln versuchte. Beim Atem Vellerns, sie hat vergessen, wie man lächelt.
    »Verrätst du mir deinen Namen?«
    Die Frau dachte einen Augenblick nach, dann wurde sie bleich und schüttelte den Kopf.
    »Hast du ihn vergessen?«, fragte Ilumene und fügte tröstend hinzu: »Das macht nichts. Wir finden einen neuen Namen für dich. Den schönsten Namen, den es gibt.«
    Ilumene klang so wohlwollend, dass Dohle kaum glauben konnte, den gleichen Mann vor sich zu haben, der ihn kurz vor Sonnenaufgang mit einem Schlag ins Gesicht geweckt hatte. Er
fühlte mit der Zunge nach seinem Zahn, der noch immer abgesplittert war. Also war es doch kein Traum gewesen.
    »Nehmt ihr mich mit euch?«, fragte sie unsicher. Bei einer Frau, die aussah, als sei sie Söldnerin gewesen, war diese Verletzlichkeit seltsam anzuschauen. Aber wenn sie sich nicht einmal an ihren eigenen Namen erinnern konnte, hatte sie die Jahre des Kämpfens gewiss auch vergessen. Es wirkte auf Dohle, als ließe Ilumenes brutales Äußeres sie zögern – und das sollte es auch. Lauf, du Närrin, lauf vor ihm weg! Aber dann lag da ein hoffender, unschuldiger Ausdruck auf ihrem vom Wetter gezeichneten und misshandelten Gesicht. Sie war bereit jedem zu glauben, der ihr Schutz vor der zerstörten Welt versprach, in der sie sich wiederfand.
    »Aber natürlich«, antwortete Ilumene und zeigte dann auf den Gegenstand, den sie an die Brust drückte. »Du hast Schlimmes erlebt und wirst noch eine Weile geschwächt sein. Soll dir mein Freund hier deine Bürde nicht abnehmen?«
    Der frühere Harlekin war noch nicht auf sie zugetreten, starrte sie aber wie ein Geier an.
    Sie drückte das Buch noch enger an sich und schüttelte den Kopf. Bei der Bewegung löste sich eine feine Staubwolke daraus und Dohle erkannte, dass ihr Haar nicht grau war, sondern nur mit Asche bedeckt. In Wahrheit mochte es heller sein.
    »Es gehört mir«, flüsterte sie heiser.
    »Wie du meinst«, sagte Ilumene sanft. »Aber verrätst du mir, was es ist? Damit ich weiß, wie ich dir am besten helfen kann?«
    »Ich …« Die Frau blickte zu ihm auf und beugte sich dann schützend über das Buch. Die Umhüllung hatte sich etwas verschoben, aber Dohle konnte die Worte auf dem Einband trotzdem noch nicht lesen. Es war wenig aufregend, nur ein einfacher
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