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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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fünf Runden gewonnen, und die umstehenden Zuschauer hatten kaum geruht, Lockes und Jeans einzigen Sieg zur Kenntnis zu nehmen.
    »Verflixt und zugenäht!«, rief Jean mit überzeugend gemimter Überraschung.
    Locke wandte sich an die Dame zu seiner Rechten. Maracosa Durenna war eine schlanke Enddreißigerin mit dunklem Teint und vollem, schwarzem Haar, dessen Farbe an Qualm erinnerte, der von brennendem Öl aufsteigt. Ihr Hals und ihre Unterarme wiesen etliche Narben auf. In der rechten Hand hielt sie eine dünne, schwarze, mit Goldfäden umwickelte Zigarre, und in ihren Zügen lag ein halb abwesendes, halb zufriedenes Dauerlächeln. Das Spiel forderte eindeutig nicht ihre volle Aufmerksamkeit.
    Mit seinem langstieligen Rateau schob der Croupier Lockes und Jeans Häuflein verlorener Spielmarken auf die Seite des Tisches, an dem die Damen saßen. Danach holte er mit demselben Rateau sämtliche Karten zu sich zurück; den Spielern war es streng untersagt, die Karten noch einmal anzurühren, nachdem der Croupier zum Zeigen aufgefordert hatte.
    »Nun, Madam Durenna«, begann Locke, »ich gratuliere Ihnen zu dem sich stetig verbessernden Stand Ihrer Finanzen. Mir scheint, das Einzige, was noch dicker sein wird als mein drohender Kater, ist Ihre Geldbörse.« Locke ließ eine seiner Spielmarken über die Finger seiner rechten Hand tanzen. Die kleine Holzscheibe war fünf Solari wert, ungefähr so viel, wie ein einfacher Arbeiter in acht Monaten verdiente.
    »Mein Beileid zu einem ausgesprochen unglücklichen Blatt, Meister Kosta.« Madam Durenna inhalierte tief den Rauch ihrer Zigarre, dann blies sie langsam eine Qualmwolke aus, die zwischen Locke und Jean in der Luft schwebte, gerade weit genug von ihren Gesichtern entfernt, um nicht als offenkundige Beleidigung aufgefasst zu werden. Locke hatte herausgefunden, dass sie den Zigarrenrauch als ihr ganz persönliches strat peti einsetzte, ihr »kleines Spielchen« – ein scheinbar niveauvoller Manierismus, der jedoch in Wahrheit dazu diente, die Gegner am Spieltisch abzulenken oder zu verärgern und sie zu Patzern zu verleiten. Ursprünglich hatte Jean vorgehabt, seine eigenen Zigarren zu demselben Zweck zu benutzen, aber Durennas Zielgenauigkeit war besser.
    »Wenn man, wie wir, gegen zwei so charmante Damen spielt, gibt es kein wirklich unglückliches Blatt«, säuselte Locke.
    »Beinahe könnte ich einen Mann bewundern, der noch auf eine so reizende Art und Weise lügen kann, während man ihn finanziell rabiat zur Ader lässt«, warf Durennas Partnerin ein, die rechts von Durenna saß, zwischen ihr und dem Croupier.
    Izmila Corvaleur war fast so groß wie Jean, von kräftiger Statur, hatte eine blühende Gesichtsfarbe und ausgeprägte weibliche Rundungen. Eine zweifellos attraktive Frau, doch der Blick in ihren Augen zeugte von einem scharfen Verstand und einem nicht geringen Maß von Verachtung. Locke stufte sie als streitsüchtig ein, als eine mit allen Wassern der Straße gewaschene Kämpfernatur, die keiner Auseinandersetzung aus dem Weg ging. Corvaleur naschte unentwegt aus einem silbernen Kästchen, das mit Schokoladenpulver überzogene Kirschen enthielt, wobei sie sich nach jedem einzelnen Happen geräuschvoll die Finger ablutschte. Das war natürlich ihr ganz eigenes strat peti.
    Sie verfügte über das ideale Spielerprofil für Schwips-Vabanque, fand Locke. Die Intelligenz, um ihr Blatt geschickt zu nutzen, und dazu einen Körper, der in der Lage war, die originelle Strafe zu verkraften, die dem Verlierer einer Runde drohte. »Strafe«, verkündete der Croupier. Er betätigte den Mechanismus, der eine drehbare Scheibe, das Karussell, in Bewegung setzte. Diese Vorrichtung auf der Mitte des Tisches bestand aus mehreren runden Messingrahmen, die eine Unzahl von winzigen, mit silbernen Kappen verschlossenen Glasfläschchen enthielten. Im sanften Schein der Lampen, die den Raum beleuchteten, kreisten die Räder immer schneller und nahmen an Schwung zu, bis sie mehreren übereinander wirbelnden Streifen aus Messing und Silber glichen. Dann hörte man unter dem Tisch metallische, klickende Geräusche und ein lautes Rappeln und Klirren von vielen dickglasigen kleinen Gefäßen, die aneinanderstießen. Zum Schluss spie das Karussell zwei seiner Phiolen aus. Sie kullerten in Lockes und Jeans Richtung und landeten mit leisem Klimpern am leicht erhöhten Tischrand.
    Schwips-Vabanque war ein Spiel für zwei Zweierteams; ein teures Spiel, denn die komplizierte Maschinerie,
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