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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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Etablissements sind mit jedem nur erdenklichen Luxus ausgestattet. Besucher von Rang steigen an privaten Anlegern am Sockel der inneren Hafenklippen in Transportkabinen und werden von mit Wasserkraft betriebenen Maschinen aus glänzendem Messing nach oben befördert; auf diese Weise wird ihnen der Umweg über die engen, kurvenreichen, von Passanten verstopften Rampen erspart, die an der dem Meer zugekehrten Seite die fünf unteren Stufen hinaufführen. Es gibt sogar einen Anger, auf dem in aller Öffentlichkeit Duelle ausgetragen werden dürfen – eine weitläufige, exzellent gepflegte Rasenfläche mitten auf der höchsten Ebene, damit auch ja niemand, dessen Blut durch eine reale oder vermeintliche Beleidigung in Wallung geraten ist, die Gelegenheit bekommt, sich durch das Verstreichen von Zeit wieder zu beruhigen und seine Besonnenheit zurückzuerlangen.
    Diese hochkarätigen Spielkasinos sind sakrosankt. Eine Tradition, die älter und strenger ist als jedes Gesetz, verbietet es Soldaten oder Konstablern, auch nur einen Fuß hineinzusetzen, es sei denn, ein ganz besonders abscheuliches Verbrechen hätte stattgefunden. Auf diese Etablissements richtet sich der Neid eines ganzen Kontinents; kein ausländischer Club, so prunkvoll oder mondän er auch sein mag, kann dieses besondere Flair einer echten Verrari-Spielbank wiedergeben. Und all diese Kasinos werden noch übertroffen von dem Sündenturm.
    Fast einhundertundfünfzig Fuß hoch, stößt der Sündenturm an der Südspitze der obersten Stufe der Goldenen Treppe in den Himmel hinein, wobei die Entfernung von seinem Sockel bis zum Hafenbecken mehr als zweihundertundfünfzig Fuß beträgt. Der Sündenturm besteht aus Elderglas, das schimmert wie schwarzes Perlmutt. Jede seiner neun Etagen ist umgeben von einem breiten, ringförmigen Balkon, der von alchemischen Laternen beleuchtet wird. Bei Nacht erstrahlt der Sündenturm in einer wahren Flut aus scharlachroten und graublauen Lichtern, den heraldischen Farben von Tal Verrar. Der Sündenturm ist das extravaganteste, berüchtigtste und am besten bewachte Spielkasino der Welt, geöffnet von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang für Leute, die mächtig, reich oder schön genug sind, um von den launischen Türstehern eingelassen zu werden. Mit jeder Etage vergrößern sich der angebotene Luxus, die Exklusivität und das Risiko der erlaubten Spiele. Den Zugang zu den einzelnen Etagen muss man sich erst verdienen – durch Kreditwürdigkeit, geistreiche Konversation und tadelloses Spiel. Manche Aspiranten verwenden Jahre ihres Lebens und etliche tausend Solari darauf, die Aufmerksamkeit des Betreibers des Sündenturms zu erregen, dessen gnadenloses Festhalten an seiner einzigartigen Position ihn zum mächtigsten Richter über gesellschaftliche Privilegien in der gesamten Geschichte der Stadt erhoben hat. Im Sündenturm gilt ein ungeschriebener Verhaltenskodex, der so rigoros ist wie die Vorschriften eines religiösen Kults. Die einfachste und am konsequentesten befolgte Regel betrifft die Ehrlichkeit der Spieler; wer hier beim Betrügen erwischt wird, muss sterben. Selbst der Archont von Tal Verrar, würde er hier mit einer Karte im Ärmel erwischt, könnte höchstens noch auf die Gnade der Götter hoffen, bei den Menschen hingegen müsste er für sein Vergehen büßen. Alle paar Monate fällt den Bediensteten des Sündenturms jemand auf, der versucht, gegen die eherne Regel zu verstoßen, und dann stirbt wieder einmal eine Person in aller Stille an einer alchemischen Überdosis, während sie sich in ihrer Transportkabine befindet, oder es gibt einen tragischen »Unfall«, wenn irgendein Vorwitziger von dem Balkon der neunten Etage fällt und unten auf den harten Steinplatten des Turmvorplatzes aufschlägt. Locke Lamora und Jean Tannen brauchten zwei Jahre und eine Ausstattung mit völlig neuen Identitäten, um sich bis in die fünfte Etage hochzuschummeln. Und just in diesem Augenblick mogeln sie beim Spiel, fieberhaft bemüht, mit zwei Gegnerinnen mitzuhalten, die es nicht nötig haben zu betrügen.

3
     
     
    »Die Damen zeigen eine Serie Türme und eine Serie Schwerter, höchste Karte ist das Siegel der Sonne«, verkündete der Croupier. »Die Herren zeigen eine Serie Kelche und ein gemischtes Blatt, höchste Karte ist Kelch fünf. Die fünfte Runde geht an die Damen.«
    Locke biss sich auf die Innenseite seiner Wange, als in dem stickigen Raum eine Welle von Applaus hochbrandete. Bis jetzt hatten die Damen vier der
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