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Sturm ueber roten Wassern

Sturm ueber roten Wassern

Titel: Sturm ueber roten Wassern
Autoren: Scott Lynch
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um Lockes und Jeans sich anbahnende Demütigung Schritt für Schritt zu verfolgen, beugten sich nun allesamt wie auf Kommando nach vorn, begierig zu sehen, wie groß ihre Blamage dieses Mal sein würde.

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    Tal Verrar, die Rose der Götter, lag am westlichsten Rand dessen, was das Volk der Theriner die zivilisierte Welt nannten.
    Wenn man im freien Raum tausend Yards über Tal Verrars höchsten Türmen stehen oder dort in trägen Kreisen durch die Luft segeln könnte, wie die Möwenscharen, welche die Nischen und Dächer der Stadt bevölkern, dann würde man verstehen, warum die ausgedehnten, dunklen Inseln diesem Ort seinen uralten Beinamen gegeben haben. Denn vom Stadtkern ausgehend verteilen sich diese Eilande ringförmig nach außen, eine Folge sichelförmiger, stetig an Größe zunehmender Erhebungen, die den stilisierten Blütenblättern einer Rose in einem künstlerischen Mosaik gleichen.
    Diese Inseln sind nicht natürlichen Ursprungs, in dem Sinn, wie das Festland, das ein paar Meilen weiter nordöstlich aufragt, von den Kräften der Natur geschaffen wurde. Der Kontinent zeigt die Erosionsspuren von Wind und Wetter und gibt Hinweise auf sein Alter. Die Inseln von Tal Verrar jedoch lassen keinerlei Anzeichen von Verwitterung erkennen, sind vermutlich gegen jeden Angriff der Elemente gefeit. Sie bestehen aus dem schwarzen Glas der Eidren, das in dieser Gegend in ungeheuren Mengen vorkommt, in endlosen übereinander lagernden Reihen abgestuft, durchzogen von Tunneln und Durchgängen und überlagert von Schichten aus Stein und Erde, aus denen eine von Menschen bewohnte Stadt entspringt.
    Die Rose der Götter ist umgeben von einem künstlichen Riff, einem mit Lücken versehenen Ring von drei Meilen Durchmesser, ein dunkler Schatten in ohnehin schon finsteren Gewässern. Dieser verdeckte Wall dient dazu, das unruhige Messing-Meer zu bändigen und den Schiffen, die unter den Flaggen hunderter Königreiche und anderer Herrschaftsgebiete fahren, eine gefahrlose Passage zu gewährleisten. Von dem erhöhten Beobachtungspunkt unseres Betrachters aus wirkt das dort unten dräuende Durcheinander von Masten und Rahen mit den gerefften weißen Segeln wie ein bizarrer Wald.
    Wendet man den Blick zu der am weitesten im Westen gelegenen Insel, so erkennt man, dass die nach innen weisenden Flächen lotrechte schwarze Wände sind, die mehrere hundert Fuß tief in die sanft plätschernden Wellen des Hafenbeckens eintauchen, wo sich ein Netzwerk aus hölzernen Anlegern an den Fuß der Klippen klammert. Die seewärtige Seite der Insel ist jedoch über ihre volle Länge in Terrassen abgestuft. Sechs breite, flache Bänder überlagern einander, bis auf die höchste Stufe von glatten, fünfzig Fuß hohen Wänden getrennt.
    Der südlichste Bereich dieser Insel wird »Die Goldene Treppe« genannt; auf allen sechs Ebenen drängen sich dicht an dicht Bierschänken, Würfelbuden, private Clubs, Bordelle und Kampfarenen. Die Goldene Treppe gilt als die Metropole des Glücksspiels der Theriner Stadtstaaten, ein Ort, an dem Männer und Frauen ihr Geld auf jede nur erdenkliche Weise verlieren können, sei es, dass sie vergleichsweise harmlosen Lastern frönen oder sich an den infamsten Verbrechen beteiligen. In einer großzügigen Geste der Gastfreundschaft haben die Behörden von Tal Verrar das Dekret erlassen, dass kein Ausländer, der die Goldene Treppe aufsucht, in die Sklaverei gezwungen werden darf. Als Folge davon gibt es nur wenige Stätten westlich von Camorr, an denen sich ein Fremder gefahrloser bis zur Bewusstlosigkeit besaufen und in der Gosse oder den Gärten seinen Rausch ausschlafen kann. Auf der Goldenen Treppe herrscht eine rigide Einteilung nach Schichten; mit jeder höheren Stufe steigt die Qualität der Lokale sowie deren Größe als auch die Anzahl und Vehemenz der Wächter an den Türen. Gekrönt wird die Goldene Treppe von einem Dutzend barocker Villen aus altem Stein und Hexenholz, eingebettet in die üppige grüne Pracht gepflegter Gärten und kleiner Wäldchen. Das sind die vornehmen »Spielhöllen« – exklusive Clubs, in denen vermögende Männer und Frauen in dem Stil spielen können, zu dem ihr Reichtum sie befähigt. Diese Häuser fungierten seit Jahrhunderten als inoffizielle Zentren der Macht, hier versammelten sich schon immer Adlige, hohe Beamte, Kaufleute, Schiffskapitäne, Gesandte und Spione, um alles aufs Spiel zu setzen – sowohl ihr persönliches als auch ihr politisches Kapital.
    Die
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