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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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verraten?
    Das Parteiensystem eignet sich hervorragend dazu, Unzufriedenheiten zu kanalisieren. Dies funktioniert allerdings nur dann, wenn Regierung und Opposition jeweils ein halbwegs geschlossenes Lager darstellen. Als die Bürger mit der Regierung Helmut Kohls unzufrieden waren, wählten sie das andere, sogenannte linke Lager; als sie mit der Regierung Gerhard Schröders unzufrieden waren, stimmten sie wieder für das sogenannte bürgerliche Lager, so als hätten sie ihr Missfallen mit der Regierung Kohlsschon wieder vergessen. Wähler haben ein sehr schlechtes Langzeitgedächtnis und neigen zum binären Denken: Wenn sie mit X unzufrieden sind, müssen sie Y wählen, Alternativen gibt es nicht.
    Solange die Wähler sich ein X für ein Y vormachen lassen und noch einen markanten Unterschied zwischen den beiden Lagern sehen, funktioniert dieses Unterscheidungsprinzip. Die einstigen inhaltlichen Positionen der großen Parteien verschwinden jedoch zusehends. Die SPD ist nicht sozialdemokratisch, die CDU nicht christlich, die CSU nicht sozial, die FDP kämpft mehr für die Freiheit des Marktes als die des Wählers, und die Grünen streifen sich den olivgrünen Stahlhelm über. Macht und Machterhalt werden zum Selbstzweck. Mehr und mehr erinnern die Parteien an Produkte, denen die Marketingabteilung ein Image verpasst hat.
    Dieser Eindruck wird bestärkt, wenn man die modernen Vokabeln politischer Kommunikation betrachtet. Da wird von einem Markenkern, von Image, Außenwirkung, Zielgruppen oder auch Alleinstellungsmerkmalen gesprochen. Politik wird nicht mehr von Politikern, sondern von PR -Profis formuliert. Für die SPD erfüllt diese Aufgabe beispielsweise die Werbeagentur BUT-TER 3 – wir wissen ja, wer heute hip sein will, muss sich entweder ausschließlich in Klein- oder in Großbuchstaben schreiben. BUT-TER verkauft morgens Schnaps, mittags Handyverträge und nachmittags die Politik der SPD . Wen wundert es da, dass ein Sigmar Gabriel eher als angeschickerter Handyverkäufer denn als ernstzunehmender Politiker wahrgenommen wird?
    Betrachtet man die großen Parteien – CDU / CSU , SPD , FDP , Bündnis 90/Die Grünen –, so hat man das Gefühl, vor vier Gläsern mit aromatisiertem und gefärbtem Zuckerwasser zu stehen, die sich zwar in Geschmack und Konsistenz ähneln, aber durch geschickte Imagekampagnen unterschiedliche Zielgruppen ansprechen sollen. Da haben wir die klassische schwarze koffeinhaltige Brause, die vor allem auf dem Land und von älteren Käuferschichten bevorzugt wird, die rote Limonade mit Süßstoff und ständig wechselnder Werbebotschaft, die sowohl dem Banker als auch dem Arbeitslosen schmecken soll, die grüne Bionade für dieMover und Shaker mit Energiesparlampe und Bausparvertrag vom Prenzlauer Berg und den gelben Energy-Drink im gehobenen Preissegment für überarbeitete oder gelangweilte Leistungsträger. Welches Glas hätten Sie denn gerne?
    Geradezu ein Großmeister des politischen Marketings ist die SPD . 1998 warb die Schröder-Partei im Wahlkampf für mehr soziale Gerechtigkeit, eine gerechtere Verteilung der Vermögen und eine verantwortungsvolle Außenpolitik. Diese Versprechen kamen beim Wähler an. Es wäre jedoch eine maßlose Untertreibung, wenn man sagen würde, die SPD hätte ihre Versprechen nicht eingehalten. Sie hat vielmehr exakt das Gegenteil dessen, was sie versprochen hat, umgesetzt. Statt sozialer Gerechtigkeit gab es Hartz IV und die Rente mit 67. Statt einer gerechteren Verteilung der Vermögen gab es historisch einmalige Steuersenkungen der für Besserverdienende, eine Verschärfung des Lohndumpings und den Ausbau des Niedriglohnsektors. Statt einer verantwortungsvollen Außenpolitik schickten SPD und Grüne zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs wieder deutsche Soldaten in einen Krieg, dessen Begründung auf dem Reißbrett der PR -Strategen entworfen wurde. In den drei Legislaturperioden, in denen die SPD mal als Senior-, mal als Juniorpartner die Geschicke des Landes mitbestimmt hat, protegierte sie die Versicherungsbranche, indem sie sie mit der Riester-Rente auf Kosten des Steuerzahlers subventionierte. Sie deregulierte die Finanzmärkte in einer Geschwindigkeit, bei der einem schon vor Eintritt der Finanzkrise nur noch angst und bange werden konnte. Wie schlecht muss die Bilanz einer Partei sein, dass für viele Wähler im Jahre 2009 sogar die FDP eine echte Alternative darstellte?
    Doch der Wähler ist bekanntlich vergesslich. Fool me once, shame
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