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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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Wählerschaft aus. Atomausstieg und Solarförderung liegen den Grünen-Wählern näher als Mindestlohn und Verteilungsgerechtigkeit.
    Die als Rebellen Gestarteten kamen als besitzstandswahrende Mittelschichtler an und stehen dabei stellvertretend für einen großen Teil ihrer Generation, die längst Frieden mit ihrer Elterngeneration geschlossen hat. Die »neue Bürgerlichkeit« hat die Kinder des Bürgertums mit ihren Eltern versöhnt, oder wie es der verstoßene Exgrüne Oswald Metzger, der inzwischen bei der CDU gelandet ist, einst formulierte: »Die Grünen nähern sich habituell ihren Herkunftsfamilien an.«
    Folgt man der Annahme, dass Parteien zuallererst immer die Interessen der eigenen Wählerschaft vertreten, verwundert es auch nicht, dass grüne Politik eben keine »linke« Politik ist, deren oberstes Ziel immer Gerechtigkeit und Chancengleichheit sein muss. Die Zahnarztfrau hat nun einmal kein gesteigertes Interesse daran, dass ihre Kinder auf einer Gesamtschule gemeinsam mit Kindern aus »bildungsfernen Schichten« lernen. Die Grünen kokettieren vielmehr mit einem »linken« Image, das bei näherer Betrachtung jedoch nicht haltbar ist.
    »Alle Parteien machen ihren Wählern was vor, aber es gibt keine Partei, die eine so grandiose Differenz zwischen ihrem Image und ihrer Realität hat«, 6 so die Exgrüne Jutta Ditfurth, die auch die Position vertritt, dass Grünen-Wähler von ihrer Partei getäuscht werden wollen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob diese Form der Selbsttäuschung nicht bereits ein Charakteristikum des »neuen Bürgertums« ist. Die Zahnarztfrau, die ihre Kinder mit einem SUV (Sport Utility Vehicle), auf dessen Heck einAtomkraft?-Nein-Danke-Aufkleber prangt, in die Privatschule fährt und für die Multikulti zuvörderst der Einkauf von Biogemüse beim türkischen Lebensmittelhändler ist, mag der Prototyp dieses postmaterialistischen Selbstbetrugs sein. Probleme mit ihrer Klientel könnten die Grünen nur dann bekommen, wenn dieser Selbstbetrug allzu offensichtlich wird.
    Stuttgart 21 – ein postdemokratisches Lehrstück
    Das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist im besten Sinne des Wortes selbsterhaltend. Selbst wenn die Bürger einmal wirklich systemverdrossen sein sollten, bietet es genügend Ventile, an denen sie die Unzufriedenheit ablassen können.
    Fest steht: Die Macht geht nicht vom Volk, sondern von den Parteien aus. Daran wird sich erst dann etwas ändern, wenn die Bürger wirklich unzufrieden sind. Wir Deutschen sind aber sehr genügsam. Der Liedermacher Konstantin Wecker hat uns in seinem Lied »Empört euch!« als »Volk in Duldungsstarre, grenzenlos belastbar« beschrieben – dem ist nichts hinzuzufügen. Wenn man uns ein wie auch immer geartetes System vor die Nase setzt, werden wir uns auch damit abfinden. Es darf nur niemand auf die Idee kommen, uns unsere Autos, unsere Vorgärten und unseren Dieter Bohlen wegzunehmen. Aber so dumm wird schon kein Politiker sein.
    Um den braven Michel aus der Duldungsstarre zu erwecken, bedarf es schon eines speziellen und vor allem sehr konkreten Ereignisses. Im Südwesten der Republik war das Immobilienprojekt Stuttgart 21 zweifelsohne ein solches Schlüsselerlebnis für zahlreiche Bürger. Dabei war es weniger das Projekt als solches, das es vermochte, die Gemüter der ansonsten eher als brav und bieder geltenden Schwaben zu erhitzen. Die Wut, von der später die Großdemonstrationen getragen wurden, war vielmehr Produkt der abgehobenen Arroganz der Politiker, die es nicht für nötig gehalten hatten, die Bürger ausreichend in die Entscheidungsprozesse einzubinden.
    Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die S-21-Proteste wohl mit die erste politische Massenbewegung im Lande waren, deren primäre Informationsquelle das Internet war. Von den Medien wurden die Widersprüche des Projekts jahrelang konsequent verschwiegen, doch die sozialen Netzwerke und Blogs konnten erstmals in Verbindung mit den zahlreichen Bürgerinitiativen eine weitestgehend autarke Gegenöffentlichkeit aufbauen. Wer sich über Stuttgart 21 informieren will, liest weder den Spiegel noch die Stuttgarter Zeitung , sondern die NachDenkSeiten oder einen der zahlreichen projektbezogenen Blogs wie beispielsweise »Bei Abriss Aufstand«.
    So sehr Stuttgart 21 somit als Beispiel dafür gelten kann, dass man es mit viel Engagement und vergleichsweise einfachen Mitteln doch schaffen kann, Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen, so
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