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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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vertritt darüber hinaus marktliberale Vorstellungen,die man in der Sozialdemokratie schlechterdings nicht für möglich gehalten hätte. Doch Inhalte spielen bei der SPD schon lange keine Rolle mehr.
    Wenn SPD -Spitzenpolitiker gesellschaftliche Missstände anprangern, dann sagen sie, dass dieses und jenes »von den Menschen als ungerecht empfunden« würde. SPD -Spitzenpolitiker hüten sich davor, Ross und Reiter beim Namen zu nennen und einen Missstand tatsächlich als ungerecht zu bezeichnen. Daraus ließe sich schließlich ein konkreter Handlungsbedarf ableiten. Konkret Stellung beziehen und Politik so gestalten, dass Ungerechtigkeiten abgeschafft werden, will die SPD aber nicht – dies könnte ja schließlich ihre Koalitionsfähigkeit einschränken. Die SPD scheut die konkrete inhaltliche Positionierung wie der Teufel das Weihwasser.
    Die Kernfrage heißt daher: »Kann man der SPD noch über den Weg trauen?« Die Antwort lautet dezidiert: »Nein, das kann man nicht!« Würde die SPD ihre in letzter Zeit mit Verve vorgetragene, aber inhaltslose Antiagenda ernst meinen, so müsste sie diese Reformen auch mit politischen Konstellationen, sprich möglichen Bündnispartnern, verknüpfen. Mit der CDU lassen sich diese Ziele nämlich nicht umsetzen, und es ist auch fraglich, ob die immer konservativer werdenden Grünen überhaupt ein Interesse an einer sozialdemokratisch ausgerichteten Politik haben. Jede Koalitionsoption mit der Linkspartei schließt die SPD jedoch kategorisch aus.
    Willkommen in der Bionade-Republik
    Kaum eine andere Partei profitiert dermaßen von ihrem Image und vom Zeitgeist wie die Grünen. Nach dreißig Jahren sind die Grünen auf ihrem Marsch durch die Institutionen an einem Etappenziel angekommen. In Baden-Württemberg stellen sie mit Winfried Kretschmann den ersten Ministerpräsidenten ihrer Parteigeschichte und haben beste Chancen, 2013 zusammen mit der SPD auch wieder im Bund an die Macht zu kommen. Für den jüngsten Popularitätsboom in den Umfragen haben die Leitartikler der Republik ihre ganz eigene, recht eigenwillige Interpretation. Die Grünen seien nun eine Volkspartei, und das Wahlergebnis in Baden-Württemberg markiere eine Niederlage des Konservatismus und einen Sieg linker Politik. Diese Analysen mögen interessant sein, bei näherer Betrachtung erweisen sie sich jedoch allesamt als falsch.
    Die Grünen profitieren so sehr wie keine andere Partei vom demographischen Wandel. Seit Jahrzehnten können sie bei Neuund Jungwählern überproportional punkten. Die Parteitreue der jungen Wähler ist erstaunlich ausgeprägt. Wer einmal grün wählt, bleibt der Partei meistens treu. »Wer in seiner Jugend nicht links denkt, hat kein Herz, und wer im Alter immer noch links denkt, hat keinen Verstand« – so lautet ein verbreiteter Aphorismus, nach dem man den Grünen gleichzeitig Herz und Verstand zubilligen könnte. Die Geschichte der Grünen ist charakteristisch für eine ganze Generation des Bürgertums. In Totalopposition zum alten Bürgertum ihrer Eltern versuchten die Jungen frischen Wind in eine verkrustete Gesellschaft zu bringen und nahmen sich vor, den Marsch durch die Institutionen anzutreten, um die Gesellschaft zu verändern. Die Marschierenden sind angekommen, nur hat die Gesellschaft sie verändert.
    Sozioökonomisch hat die Wählerschaft der ehemaligen Ökopartei sich um 180 Grad gedreht. In den Achtzigern wurden die Grünen überdurchschnittlich häufig vom untersten Einkommensfünftel gewählt. Heute wählen die beiden obersten Einkommensfünftel überdurchschnittlich häufig die Grünen – das oberste Einkommensfünftel zählt dabei am stärksten zur neuen Stammwählerschaft. In den Achtzigern wählte jeder vierte wahlberechtigte Auszubildende beziehungsweise Student die Grünen, während damals nur jeder zwanzigste Beamte und Selbstständige sein Kreuz bei den Grünen machte. Heute wählt jeder fünfte Beamte oder Selbstständige grün. Die »linken« Studenten der Achtziger sind heute ökonomisch gut situierte Angestellte,Selbstständige oder Beamte und haben ganz andere Sorgen als die Probleme von damals. Ging man früher gegen den NATO -Doppelbeschluss und für eine klassenlose Gesellschaft auf die Straße, kämpft man heute für verkehrsberuhigte Zonen in gehobenen Stadtvierteln und die steuerliche Förderung von Solarzellen auf den schicken Einfamilienhäusern. Dieser Gesinnungswandel drückt sich auch in den politischen Positionen und den Themengewichtungen der
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