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Stresstest Deutschland

Stresstest Deutschland

Titel: Stresstest Deutschland
Autoren: Jens Berger
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Analysten der Investmentbanken und Ratingagenturen herzlich egal.

1   Demokratiekrise: Leben wir im besten aller denkbaren Systeme?
    Zahlreiche Umfragen der letzten Jahre kommen übereinstimmend zu dem Befund, dass ungefähr die Hälfte der Deutschen mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, wenig oder gar nicht zufrieden ist. 1 Je ärmer die Menschen sind, desto schlechter funktioniert ihrer Meinung nach die Demokratie. 2 Für 73 Prozent der Arbeitslosen, 63 Prozent der Hartz- IV -Haushalte und sechzig Prozent der Haushalte mit einem Nettoeinkommen von unter 700 Euro gilt demnach, dass sie der Demokratie skeptisch gegenüberstehen. Jeder zweite Arbeitslose und Hartz- IV -Empfänger würde die Demokratie nicht verteidigen. Vor allem im Osten hat sie kein besonders gutes Image. Jeder zweite Ostdeutsche spricht einem demokratischen System generell die Fähigkeit ab, Probleme zu lösen. Das sind höchst gefährliche Alarmzeichen.
    Nun darf man aber nicht den Fehler machen, Verdruss und Unzufriedenheit über die derzeitige Funktionsweise unserer Demokratie mit einer Ablehnung der Demokratie gleichzusetzen. Dieselben Umfragen kommen nämlich ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die ganz überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung ein demokratisches Staatswesen, das Grundgesetz und den Sozialstaat für verteidigenswert hält. Man sollte also eher von einer Politik-, Politiker-, Parteien- oder Systemverdrossenheit sprechen, demokratieverdrossen sind die Deutschen (noch) nicht. Die Unzufriedenheit mit der Demokratie, der Politik, den Politikern und Parteien ist eigentlich nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Politik in zentralen Fragen dauerhaft gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung regiert. Das ist bezogen auf Hartz IV so, die Rente mit 67, die Gesundheitsreformen oder auch auf den Kriegseinsatz in Afghanistan. Man könnte noch eine ganze Reihe weiterer Politikfelder aufzählen, bei denen die Bürger das Gefühl gewonnen haben, dass ihre Meinung bei der Politik, den Parteien und den Regierungen nicht mehr gefragt ist. Schlimmer noch: Ihre Meinung kommt in der öffentlichen Debatte gar nicht mehr vor.
    Unser politisches System gehört zu den freiesten, die es je gab. Da die Freiheit des einen aber auch immer die Unfreiheit des anderen ist, sollte man sich darüber im klaren sein, wessen Freiheit der Politik eigentlich am Herzen liegt. »Freiheit hoaßt koa Angst habn, vor neamands«, sang einst der Liedermacher Konstantin Wecker. Angst war aber schon immer ein Element der Politik – der Verängstigte stellt weniger Fragen und lässt sich leichter regieren. Eine solche Politik hat mit der Freiheit aller Bürger also wenig zu tun. Und die Deutschen haben Angst. Sie haben Angst, ihren Job zu verlieren oder in das Heer der zahllosen »working poor« abzu-gleiten; sie haben Angst davor, im Alter ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können; sie haben Angst, in einer immer schneller werdenden Welt abgehängt zu werden.
    Anstatt diese Ängste zu beseitigen, schürt die Politik sie durch den Abbau des Sozialstaats und subtil gestreuten Sozialdarwinismus. Solange unsere Demokratie die Ängste der Menschen nicht wirklich ernstnimmt und Mittel und Wege findet, sie zu beseitigen, wird es ihr auch nicht gelingen, aus den Verängstigten engagierte Demokraten zu machen. Warum sollte man ein politisches System verteidigen, das einen selbst zum Verlierer abstempelt und keine ernstzunehmende Lebensperspektive bietet?
    Willkommen in der Parteiendemokratie
    Alle Macht geht vom Volke aus, heißt es im Grundgesetz der Bundesrepublik. Aber stimmt das? Geht die Macht in Deutschland wirklich vom Volke aus? Kritische Zeitgenossen werden diese Frage wahrscheinlich verneinen, denn sie beobachten, dass dochdie Parteien als Repräsentanten des Volkes immer mehr Macht an sich reißen. Die Macht der Parteien geht inzwischen weit über den politischen Gestaltungsauftrag hinaus, den ihnen das Grundgesetz zubilligt. Das Parteibuch entscheidet, wer einen Posten im höheren Staatsdienst bekommt, die obersten Richter des Landes werden nach Parteibuch und Parteienproporz ernannt, und sogar die Wächter der Demokratie, die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, mögen zwar staatsfern sein – parteienfern sind sie aber nicht einmal im Ansatz. Die Parteien setzen sich über die Gewaltenteilung hinweg – sie kontrollieren die Exekutive, die Judikative, die Legislative und teilweise sogar die Medien, die von
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