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Streitbare Frauen

Streitbare Frauen

Titel: Streitbare Frauen
Autoren: Michaela Karl
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und findet Harriet Zuflucht bei Gott. Sie entwickelt sich im Laufe der Zeit zu einer tiefreligiösen Frau. Allerdings lehnt sie das Gehorsamsgebot, das die Sklavenbesitzer der Bibel entnehmen, rundweg ab, entdeckt ein eher revolutionäresChristentum für sich. Für sie gilt das alttestamentarische Gebot von Rache und Vergeltung. Schon damals beginnt sie zu halluzinieren und zu träumen, wobei sie ihre Träume stets als Zeichen Gottes interpretiert. Sehr wahrscheinlich ist, dass sie aufgrund der schweren Kopfverletzung an Narkolepsie, also einer Störung der Schlafrhythmik leidet. Sie wird im Laufe ihres Lebens immer wieder mitten im Gespräch einschlafen oder das Bewusstsein verlieren. Dass sie aufgrund dieser Vorgeschichte überhaupt in der Lage ist, später Sklaven zu befreien, erscheint fast als ein Wunder.
    1844 heiratet Harriet den freien Schwarzen John Tubman. Um die Mitte des Jahrhunderts gibt es viele freie Schwarze. Ihre Anzahl steigt zwischen 1790 und 1850 von 59 466 auf 434 449 an. Ursächlich dafür ist die hohe Kinderzahl der schwarzen Bevölkerung. Da Kinder rein rechtlich den Status ihrer Mutter erhalten, sind alle Kinder freier schwarzer Frauen ebenfalls frei. Dazu kommt, dass es vermehrt Sklavenhalter gibt, die vor ihrem Tod die Freilassung ihrer Sklaven anordnen. Und es gibt nun auch Schwarze, die genug Geld verdienen, um Familienangehörige und Freunde freizukaufen. Mehr als die Hälfte der freien Schwarzen lebt im Norden.
    An der Ostküste von Maryland, an der etwa die Hälfte aller Schwarzen frei sind, ist die Ehe zwischen einem freien Schwarzen und einer Sklavin zwar keine Seltenheit, bringt aber aufgrund der herrschenden Gesetze große Probleme mit sich. Da Harriet Sklavin ist, wären auch alle ihre Nachkommen automatisch Sklaven, John Tubman hätte keinerlei Verfügungsgewalt über seine Kinder. Dennoch heiratet er sie. Vermutlich hatte er vor, Harriet so bald als möglich freizukaufen. Nach der Heirat ändert Harriet Tubman ihren Namen offiziell von Araminta auf Harriet.
    1849 erkrankt sie schwer. Ihr Wert als Arbeitstier schwindet. Edward Brodess versucht erneut sie zu verkaufen. Inständig fleht die junge Frau zu Gott, dass er auch diesmal keinen Abnehmer finden möge. Als es jedoch so aussieht, als habe er einen Käufer gefunden, bittet sie Gott, Brodess zu töten: »Am ersten Märzbegann ich zu beten: ›Gott, wenn Du das Herz dieses Mannes nicht erweichen kannst, dann töte ihn und schaff ihn aus dem Weg.‹« 3 Eine Woche später ist der 47-jährige Brodess tot.
    Seine Witwe Eliza löst die Plantage auf und veräußert die Sklaven. Die Gefahr, dass Harriet und ihre Familie auseinandergerissen werden, ist nun akut. Am 29. August 1849 wird ihre Schwester Kessiah über einen Agenten in der Lokalzeitung zum Verkauf angeboten. In dieser Situation wird Harriet aktiv. Aus der Sklavin wird eine Befreierin. Zunächst für sich selbst, später auch für andere. Gegen den Rat ihres Mannes entscheidet sie sich gemeinsam mit ihren Brüdern Ben und Henry für die Flucht in den Norden. Am 17. September 1849 ist es so weit. Harriet ist an einen Plantagenbesitzer in Carolina vermietet worden, bei dem auch ihre Brüder arbeiten. Von hier aus gelingt ihnen die Flucht. In einer Annonce im
Cambridge Democrat
bietet Eliza Brodess darauf hin 300 Dollar Belohnung für die Ergreifung der Flüchtenden. Doch zu einer Auszahlung wird es nicht kommen. Die drei kehren freiwillig zurück. Die beiden Brüder verlässt angesichts der drohenden Gefahren der Mut und Harriet sieht sich gezwungen mit ihnen umzukehren.
    Doch der einmal gefasste Gedanke an Flucht treibt sie um. Einige Wochen später versucht sie es erneut. Diesmal jedoch ohne die Brüder. Die zurückbleibende Familie informiert sie auf ihre ganz eigene Weise von der Flucht, indem sie ein Lied singt, das eine versteckte Abschiedsbotschaft enthält:
    »I’m sorry I’m going to leave you.
    Farewell, oh farewell;
    But I’ll meet you in the morning.
    Farewell, oh farewell.
    I’ll meet you in the morning,
    I’m bound for the promised land
    On the other side of Jordan,
    Bound for the promised land.« 4
    Sie folgt den mutigen Männern und Frauen, die sich auf einen ungewissen Weg machen, denen die Gefahr, das Leben zu verlieren, weniger schmerzlich erscheint als die Aussicht, weiterhin in Sklaverei zu leben. Allein in Maryland werden 1850 729 entlaufene Sklaven gezählt. Auf welcher Route Harriet in die Freiheit flieht, wurde nie bekannt. Später wird sie auch
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